»Wir haben jedenfalls noch viel vor«

Interview: Robert Mucha, Fotos: DSS

Silke Lohmiller und Prof. Reinhold Geilsdörfer fungieren als Doppelspitze der Dieter Schwarz Stiftung. Für wissensstadt.hn sprachen wir mit beiden Geschäftsführern u. a. über ihre geteilte Führungsrolle, über Trendscouts für Forschungs- und Bildungstrends, den Neubau der Josef-Schwarz-Schule im Neckarbogen, Kooperationen mit Universitäten von Weltrang und von jungen Menschen, die anders denken und mutig sind.

 

wissensstadt.hn: Frau Lohmiller, Sie sind Teil einer Doppelspitze als Geschäftsführerin der DSS. Wie finden Sie nach nun über fünf Jahren diese immer noch ungewöhnliche Führungskonstellation?

Silke Lohmiller: Wir kommen sehr gut miteinander klar, obwohl wir sehr unterschiedlich sind. Wir ergänzen uns und kennen uns mittlerweile einfach gut. Es passt mit uns beiden. Ich habe mich in meiner Elternzeit mit der Frage auseinandergesetzt, ob Führungspositionen geteilt werden können. Damals war die Zeit noch nicht reif, aber mittlerweile kann ich mir das sehr gut vorstellen. Aber beide Charaktere müssen zusammen passen und zusammen funktionieren. Vertrauen ist dafür sehr wichtig.

wissensstadt.hn: Herr Prof. Geilsdörfer, Sie haben in ihren Führungspositionen, bevor Sie Geschäftsführer der DSS wurden, weitestgehend alleinverantwortlich schalten und walten können. War es ein großer Umgewöhnungsprozess, sich als Doppel zu begreifen?

Prof. Reinhold Geilsdörfer: Wir haben uns die Aufgaben so aufgeteilt, dass sie unserer Erfahrung und unseren Kompetenzen entsprechen. Dadurch befruchten wir uns gegenseitig massiv. Wir haben einen sehr kooperativen Führungsstil, vertrauen einander und gehen offen miteinander um.

wissensstadt.hn: Wie kann man sich ihren Arbeitsalltag vorstellen? Von welchen Aufgaben und Tätigkeiten ist er geprägt?

Prof. Reinhold Geilsdörfer: Wir investieren gigantisch viel Zeit in Besprechungen und in Abstimmungen. Deswegen haben wir Referentenstrukturen aufgebaut, die uns massiv unterstützen. Anders würden wir diese Themenbreite, die wir in der Stiftung haben und den Umfang, den wir bewegen, nicht mehr managen können. Bei uns beiden liegen schlussendlich aber mehr die strategischen Aufgaben.

wissensstadt.hn: In der Pressemitteilung, die 2015 von ihrer Nachfolge für ihre Vorgänger Klaus Czernuska und Dr. Erhard Klotz berichtete, wurde das Fortschreiben einer Vision der Stiftung zur Wissensstadt Heilbronn angekündigt. In den vergangenen sechs Jahren wurden, um einige Beispiele zu nennen, mit der Neueröffnung der experimenta, der engen Kooperation mit der TUM oder dem Start der 42 Heilbronn viele Meilensteine erreicht. Welche Strecke wurde in dieser Zeit auf dem Weg zur Vision zurückgelegt?

Prof. Reinhold Geilsdörfer: Es kommen immer wieder neue Anregungen auf unserem Weg hinzu. Deswegen können wir das gar nicht beziffern. Wir haben jedenfalls noch viel vor und sind noch nicht am Ende des Weges angekommen. Und zum Glück haben wir die Möglichkeit zu gestalten und Themen voranzubringen. Wir versuchen dabei Dinge mit hoher Geschwindigkeit zu entwickeln. Das ist einer unserer Vorteile: die kurzen Entscheidungswege.

Silke Lohmiller:  Wenn wir irgendwo etwas sehen, hören oder mit Themen konfrontiert werden, die interessant scheinen, dann setzen wir uns auch kurzfristig auf Zuruf zusammen – wir sind direkte Büronachbarn – und besprechen, ob wir das strategisch weiterverfolgen sollen und was daraus werden könnte? Dabei sind wir uns meist sehr schnell einig und haben die Möglichkeit, diese Themen schnell einzubringen und umzusetzen.

Prof. Reinhold Geilsdörfer: Wir sind eine sehr regionale Stiftung. Unsere Förderungen sollen in der Region wirken. Daher fördern wir sehr nachhaltig und auch langfristig. Ich glaube, das zeichnet uns aus, dass wir hier vor Ort einen Beitrag leisten als Stiftung. Wir wissen, dass es der Region Heilbronn-Franken momentan gut geht. Wir haben einen hohen Wohlstand und eine hohe Beschäftigungsquote. Es ist unser Ziel einen Beitrag dafür zu leisten, dass dieser Wohlstand auch noch in der Zukunft da ist. Wir wissen genau, die Wirtschaft, die heute diesen Wohlstand garantiert und sichert, wird sich verändern. Und wir glauben, dass wir mit unseren Förderungen tatsächlich einen Beitrag dafür leisten, dass in der Region auch noch in zehn Jahren hohe Wertschöpfung generiert werden kann.

wissensstadt.hn: Gibt es bei ihnen Trendscouts für Bildungs- und Forschungsthemen?

Prof. Reinhold Geilsdörfer: Wir bilden uns ein, dass wir das selbst sehen. Das stimmt aber nicht. Weshalb haben wir das Know-how? Wir haben durch die Themen, die wir bewegen, mit wahnsinnig interessanten Leuten zu tun. Das heißt, wir sind ständig in Diskussionen mit Menschen, die uns Know-how und Ideen weitergeben. Da ist oft Sagenhaftes dabei. Wir haben also viele Trendscouts.

Silke Lohmiller: Neue Ideen entstehen oft auch in konkreten Projekten, die wir mit unseren Partnern bearbeiten. Und diese können dank der hochprofessionellen Arbeit aller Beteiligten und unserer Unterstützung sehr schnell umgesetzt werden.

wissensstadt.hn: Die Stadt Heilbronn bekommt durch das Tempo, die Dynamik und Entschlossenheit der DSS, Heilbronn zum international relevanten Bildungs- und Wissensstandort zu entwickeln herausfordernde Aufgaben z. B. in der Stadtentwicklung gestellt. Nun ist Stadtentwicklung für junge Talente, die nach Heilbronn kommen sollen, nicht in der Stiftungssatzung verankert. Wie kann die DSS dennoch etwas für das studentische und akademische Leben abseits des Campus tun, damit Heilbronn eine nachhaltige Schwarmstadt wird?

Prof. Reinhold Geilsdörfer: Wir sind dabei, das Thema Stadtentwicklung zu unterstützen. Ende des Jahres wird ein Stadtentwicklungskongress stattfinden, der sich aktuell in der Planungsphase befindet. Wir wollen das Thema Stadtentwicklung – auf Heilbronn bezogen – wissenschaftlich beleuchten lassen.

wissensstadt.hn: Frau Lohmiller, Sie freuen sich aktuell wahrscheinlich besonders über den baldigen Baustart der neuen JSS im Neckarbogen?

Silke Lohmiller: Nach einem Jahr Planungsphase freuen sich alle, dass es endlich losgeht. Die Planung eines solchen Gebäudes ist inzwischen viel komplexer als noch vor ein paar Jahren.

wissensstadt.hn: Bei der Planung war der Nachhaltigkeitsgedanke allgegenwärtig. Haben Sie neue Baumaterialien kennengelernt, die ihnen vorher unbekannt waren?

Silke Lohmiller: (lacht) Ja, tatsächlich. Wir werden mit Lehmdecken arbeiten, statt mit klassischen Klimaanlagen. An Lehm als Baumaterial hatte ich im Vorfeld wirklich nicht gedacht. Dazu wird mit viel Glas und Holz gearbeitet, um ein lichtdurchflutetes, natürliches Raumklima zu erzeugen. Und wir streben wieder die diamantene DGNB-Zertifizierung (Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen) an, die wir für die experimenta schon bekommen haben. Bei allen Ausschreibungen ist formuliert, dass diese Kriterien auf jeden Fall erfüllt werden müssen. Wir haben verinnerlicht z. B. Solaranlagen und Wärmepumpen als Standards anzusehen.

wissensstadt.hn: Aktuell läuft die Ausschreibung für den Schulpreis der Dieter Schwarz Stiftung. Prämiert werden Projekte, die im Schulalltag nachhaltig Medienkompetenz vermitteln. Weshalb ist der DSS Medienkompetenz so wichtig? Es hätte ja auch ein Preis für besondere MINT-Initiativen sein können.

Silke Lohmiller: Wir haben in den letzten Jahren immer schon Medienkompetenz ausgezeichnet. Und wir haben in der Pandemiesituation umso mehr gesehen, wie wichtig das für die Schulen und Schüler*innen ist. Diesmal wollen wir ganz gezielt auszeichnen, wie mit der Pandemie umgegangen wurde, wie den Schüler*innen ein guter Unterricht ermöglicht wurde. Daher sollen die Anstrengungen, die unternommen wurden, prämiert werden.

wissensstadt.hn: Herr Geilsdörfer, die umfangreiche Kooperation mit der TUM, die seit 2018 ausgebaut wurde, war und ist ein großer und wichtiger Baustein, um Heilbronn zur international relevanten Wissensstadt zu entwickeln. Die Internationalisierung des Bildungssektors in Heilbronn ist ein weiterer. Weshalb ist der Schritt nicht nur über die Grenzen des Bundeslandes hinaus (TUM), sondern über Landes- und Kontinentalgrenzen so wichtig bei der Entwicklung des Forschungs- und Bildungsstandortes Heilbronn?

Prof. Reinhold Geilsdörfer: Darauf gibt es mehrere Antworten. Forschung ist international, in diesem Feld muss man sich international vernetzen, es geht anders gar nicht. Und wenn wir unsere Wirtschaftsunternehmen hier in der Region betrachten, ist es so, dass die den größten Teil ihres Umsatzes inzwischen international machen. Typisch schwäbische Unternehmen sagen inzwischen: »Wir können unser Geschäft, nicht mehr mit einer rein deutschen Belegschaft machen, wir brauchen in unserer Belegschaft interkulturelle Kompetenz.« Da ist es naheliegend, dass wir mit unseren internationalen Partnern einen Studierendenaustausch anstreben. Das wird den Standort Heilbronn bekannter machen, sodass sich auch internationale junge Menschen hier bewerben werden und vielleicht hier hängenbleiben. Für uns ist es wichtig, dass wir Kooperationen mit Universitäten eingehen, die Weltgeltung haben. Dafür war der Schritt die TUM nach Heilbronn zu holen der Richtige. Aktuell entwickeln wir dadurch zum Beispiel mit Oxford oder Stanford Kooperationen. Wir wollen uns mit den internationalen Spitzenuniversitäten, die in den Bereichen Information Engineering und KI-Anwendungen einen Namen haben, verknüpfen. Und unser Blick geht auch in Richtung Existenzgründungen. Deswegen arbeiten wir auch intensiv mit Israel und der Hebrew University zusammen.

wissensstadt.hn: Heilbronn entwickelt sich – unabhängig von einer Zu- oder Absage bezüglich des KI-Innovationsparks des Landes – zu einem KI-Hotspot. Neben zukünftigen Studiengängen der TUM zu z. B. Data Science, den angewandten Forschungen und Studienangeboten der HHN wird auch die Programmierschule 42 Heilbronn auf das Thema KI einzahlen. Wie lautet die Heilbronner KI-Vision der DSS?

Prof. Reinhold Geilsdörfer: Wir müssen es schaffen neben den etablierten Unternehmen hier eine Wirtschaft zu entwickeln und Unternehmen anzulocken, die wirklich junge Leute ansprechen, und zwar Leute, die anders denken, die mutig sind und neue Dinge machen wollen. Das muss das Ziel sein. Die große Erkenntnis bei der Bewerbung um den KI-Innovationspark war, dass wir eine enorme Vernetzung mit unterschiedlichsten Unternehmen entwickelt haben, die alle gesagt haben: »Ja, das unterstützen wir.« Und zwar sind das nicht nur Unternehmen aus Heilbronn und der Region. Porsche aus Stuttgart z. B. kommt ganz selbstverständlich nach Heilbronn. Und viele Unternehmen aus der Metropolregion Rhein-Neckar tun dies auch, die SAP um eines zu nennen. Diese Bewerbung hat uns in Baden-Württemberg sehr bekannt gemacht. Es ist nicht mehr so, dass man Heilbronn nicht wahrnimmt, definitiv nicht mehr.