Wie unterscheidet sich künstliche von menschlicher Intelligenz?

Professor Nicolaj Stache von der Hochschule Heilbronn erklärt im Interview, wie weit die Forschung im Bereich Künstliche Intelligenz schon ist und ob KI in Zukunft eine Art Bewusstsein entwickeln könnte.

Interview: Annika Heffter; Foto: HHN

wissensstadt.hn: Herr Stache, wie würden Sie Künstliche Intelligenz in einfachen Worten beschreiben?

Prof. Dr. Nicolaj Stache: KI ist gar nicht so leicht zu definieren. Nehmen wir allein den Begriff Intelligenz: Was ist das eigentlich? Viele Psychologen würden darüber wahrscheinlich lange diskutieren. Generell kann man aber sagen: Künstliche Intelligenz ist dann erreicht, wenn eine Maschine menschliches Verhalten und Intelligenz imitieren kann.

wissensstadt.hn: Was kann künstliche Intelligenz besser als menschliche Intelligenz?

Prof. Dr. Nicolaj Stache: Künstliche Intelligenz ist – Stand heute – besonders in spezifischen Teilbereichen gut. Sie wird zum Beispiel bei der Bild- und Gesichtserkennung eingesetzt oder, wenn wir etwas in eine Suchmaschine eingeben. Sie ist auch sehr gut darin, Sprachbarrieren abzubauen und etwa Texte zu übersetzen. In solchen Teilbereichen kann KI uns Menschen auch schon überlegen sein.

wissensstadt.hn: Und wo bleibt die menschliche Intelligenz überlegen?

Prof. Dr. Nicolaj Stache: In vielen Bereichen. KI ist noch gar nicht so weit, wie manche glauben. Wenn es um soziale Eigenschaften geht, zum Beispiel Empathie, oder um Handlungen in der realen Welt, etwa handwerkliche Fähigkeiten, sind immer noch Menschen gefragt. Eine KI kann Ihnen keine Heizungsanlage einbauen. Außerdem haben KIs wie gesagt vor allem bei ganz spezifischen Aufgaben einen Vorteil. Sie können dann aber eben auch nur das eine. Die eine kann besonders gut Texte übersetzen, die andere, etwa beim autonomen Fahren, kann Verkehrsteilnehmer sehr schnell erkennen. Aber Menschen sind ja in mehreren Bereichen intelligent, nicht nur in einem, wie die Maschine.

wissensstadt.hn: Wie wissen Sie überhaupt, ob etwas eine Künstliche Intelligenz ist?

Prof. Dr. Nicolaj Stache: Es gibt den sogenannten Turing-Test. Wenn demnach ein Mensch mit einer KI kommuniziert und nicht mehr unterscheiden kann, ob er mit einem Menschen oder einer Maschine spricht, dann hat die Maschine den Test bestanden.

wissensstadt.hn: Kürzlich hat ein Google-Mitarbeiter behauptet, er habe mit einer KI gesprochen, die Bewusstsein erlangt habe. Glauben Sie daran?

Prof. Dr. Nicolaj Stache: Ich bin Ingenieur und beschäftige mich weniger damit, wie und ob KI einen eigenen Willen entwickeln wird. Ich möchte KI wissenschaftlich weiterbringen, damit spezielle Aufgaben von ihr erledigt werden können, die von Menschen ansonsten nur ungern oder mit sehr viel Aufwand gelöst werden könnten. Aber wenn Sie nach dem Bewusstsein bei KIs fragen, kommt es natürlich auch darauf an, wie dieses überhaupt entsteht. Wenn wir annehmen, dass etwas Ähnliches wie Bewusstsein in einem sehr großen neuronalen Netz über das Training mit sehr großen Datenmengen entstehen kann, dann würde ich sagen: Wir sind auf dem besten Weg dahin. 

wissensstadt.hn: Inwiefern?

Prof. Dr. Nicolaj Stache: Nun ja, künstliche neuronale Netze sind in den vergangenen fünf Jahren extrem gewachsen. Vor fünf Jahren hatte man Netze, die von der Anzahl der Neuronen her dem Gehirn einer Biene oder eines Frosches entsprechen. Wenn man dann davon ausgeht, dass die künstlichen neuronalen Netze so schnell wachsen wie in den vergangenen fünf Jahren, dann wären wir spätestens im Jahr 2056 bei der Komplexität des menschlichen Gehirns angelangt. Und dann ist die Frage: Wir haben mit unserem biologischen neuronalen Netz Bewusstsein, warum sollte das bei der Maschine also nicht auch möglich sein?

wissensstadt.hn: Das klingt unheimlich…

Prof. Dr. Nicolaj Stache: In den meisten Forschungsprojekten ist eine Universal-KI aber nicht unbedingt das Ziel, sondern eher eine, die Menschen in einem bestimmten Bereich zur Seite steht. Sie könnte zum Beispiel in der Medizin eine unglaublich große Menge an Wissen, die wir als Mensch gar nicht aufnehmen können, organisieren. Etwa, indem sie Millionen Röntgenbilder interpretiert und Ärzten dadurch hilft, bestimmte Krankheiten schneller zu erkennen. Ich möchte dafür werben, dass wir dem technischen Fortschritt positiv gegenüberstehen. Die KI kann Menschen assistieren und ihnen das Leben erleichtern. Es gibt aber auch eine Gefahr.

wissensstadt.hn: Welche?

Prof. Dr. Nicolaj Stache: Dass Menschen einer KI blind vertrauen. Bloß, weil etwas mit KI entsteht, heißt das nicht, dass es zwangsläufig gut ist. Das hängt auch von den Leuten ab, die die KI entwickeln, sie mit Daten zum Lernen füttern und von den Daten, mit denen die KI trainiert wird. Zum Beispiel: Eine KI soll bei der Auswahl von Bewerbungen für eine Firma helfen. Die Maschine wird anhand der vorhandenen Mitarbeiter in dem Unternehmen trainiert. Dann ist klar, dass die KI nur Leute für den Job vorschlägt, die zu den schon vorhandenen Strukturen in der Firma passen. Sind da bisher etwa nur zehn Prozent Frauen, dann würde eine KI auch nur zehn Prozent Frauen einstellen. Wir müssen KI also auch stets hinterfragen. 

wissensstadt.hn: Könnte KI Menschen künftig auch in künstlerischen Bereichen ersetzen?

Prof. Dr. Nicolaj Stache: Es ist so, dass KI schon Texte, Musik und Bilder erzeugen kann, die künstlerische Elemente beinhalten. Es wurde sogar schon einmal eine wissenschaftliche Abhandlung, die eine KI geschrieben hat, bei einer Konferenz eingereicht und angenommen. Aber generell bedarf es immer noch Menschen für künstlerische und qualitätsjournalistische Arbeit. Einen informativen Bericht würde die KI vermutlich gut hinbekommen, bei einem großen gesellschaftskritischen Text hätte ich da meine Zweifel.

 

Zur Person

Professor Nicolaj Stache forscht und unterrichtet an der Hochschule Heilbronn. Seine Schwerpunkte sind autonomes Fahren, Messtechnik und Sensorik und Künstliche Intelligenz. Der 42-Jährige ist Mitgründer des an der Hochschule angesiedelten Zentrums für maschinelles Lernen und leitet das ebenfalls dort ansässige Center for Industrial Artificial Intelligence.