Die TUM Heilbronn leiht Studierenden in Produktions- und Logistikkursen seit diesem Semester VR-Brillen aus, damit diese Vorlesungen und Simulationen in virtueller Realität besuchen können. Professor David Wuttke sieht großes Potenzial für VR in der Lehre.
Von Annika Hefter (Heilbronner Stimme), Foto: Privat
Fast fühlt es sich so an, als sitze man in einem echten Hörsaal, in dem gleich eine Vorlesung beginnt. Nur, dass der Raum eben nicht echt ist. Dank eines Headsets, das eine virtuelle Realität (VR) vortäuscht, sieht man alles in 3D und kann sich, beziehungsweise den eigenen Avatar, mithilfe von Controllern in den Händen sogar fortbewegen – die Treppe hinunter, in die Sitzecke für eine Gruppendiskussion, auf den Stuhl vor der Leinwand, auf der eine Präsentation erscheint.
Ganz realistisch wirken die Avatare der anderen Teilnehmer der Veranstaltung nicht, aber immerhin lassen sich ihre Hand- und Kopfbewegungen erkennen. Vorne steht der Professor, David Wuttke, und hält seine Vorlesung, gestikuliert, wechselt die Position, um allen einmal in die virtuellen Augen schauen zu können.
Virtuelle Fabrik besuchen und Entscheidungen treffen
Professor Wuttke unterrichtet an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Technischen Universität München (TUM) in Heilbronn. Einige seiner Studierenden kommen in diesem Semester zum ersten Mal in den Genuss von Vorlesungen in VR, für die sie sich die speziellen Headsets von der Universität ausleihen.
David Wuttke sieht für VR in der Lehre viele spannende Anwendungsfelder: »Zum Beispiel im Bereich Produktion und Logistik. Die Studierenden können über eine Simulation eine virtuelle Fabrik besuchen, in der sie auch Entscheidungen treffen müssen«, erklärt er. Eine Produktionsanlage könne man natürlich auch im echten Leben besuchen, »aber dort dürfte man an den Maschinen nichts verändern oder ausprobieren, was passiert«. In der VR geht das.
50 oder 500 Fässer Bier bestellen?
In einer anderen Simulation, dem sogenannten Beer Game, das am MIT entwickelt wurde, geht es darum, die richtige Menge eines Produkts zu bestellen und möglichst kosteneffizient in der Verteilungskette mitzuwirken. »Wenn man die reinen Zahlen vor sich sieht, ist der Unterschied zwischen etwa 50 Fässern und 500 Fässern oft nicht besonders anschaulich. Der Lerneffekt ist ein anderer, wenn die Fässer in der VR tatsächlich vor einem stehen«, sagt Wuttke. Für solche praktischen Anwendungsbereiche von VR sieht der Professor große Vorteile: »Die Simulationen vermitteln nicht nur Wissen, sondern auch Kompetenz. Man kann sich besser eine Meinung bilden, analysieren, Verbesserungsvorschläge machen.«
Mitschreiben geht in VR noch nicht
Was in diesen Vorlesungen eher schwierig ist, ist das Mitschreiben. Die VR-Brille schirmt das reale Umfeld ab, über die Controller kann man zwar auf Buchstaben drücken und Notizen in ein virtuelles Tablet schreiben, das ist aber eher mühsam. »Die Studierenden bekommen zusätzlich Lernmaterial, Videos und Präsentationen. Das VR-Format ist also hauptsächlich für Fragen, Diskussionen und Gruppeninteraktion gedacht. Und dazu, Ideen zu vermitteln«, erklärt David Wuttke.
Aber auch Präsentationen in VR hätten ihre Vorteile: »Wer beim Online-Unterricht einen Laptop vor sich hat, hat auch noch andere Programme offen oder schaut ab und zu auf das Handy. All diese Ablenkungen fallen in der VR weg, weil man nichts anderes gleichzeitig machen kann«, sagt Wuttke.
Aufmerksamkeitsspanne ist höher
Das bestätigt auch einer seiner Studierenden, Caspar Kwan, der schon sechs Vorlesungen in VR mitgemacht hat. »Die Aufmerksamkeitsspanne ist höher, weil man sich nur auf das konzentrieren kann, was um einen herum passiert«, sagt der 19-Jährige. Er studiert Management und Technology im Bachelor und hat Spaß an der VR-Welt. »Es dauert kurz, bis man sich daran gewöhnt hat, aber es fühlt sich natürlicher an als Videokonferenzen.«
Auch er betont, die Studierenden würden sich in VR mehr beteiligen und austauschen. Nur ein Problem sieht er: »Es wird einem manchmal ein bisschen schwindelig, vor allem wenn man viel in der virtuellen Realität herumläuft«, sagt Kwan. Aber auch dafür gibt es Lösungsansätze: Teleportation kann das Laufen ersetzen, Pausen helfen, die Augen zu schonen. “Länger als 45 Minuten in VR ist schwierig”, sagt der Student.
Digitale Möglichkeiten
Immer mehr Lehrmodelle nutzen eine Kombination aus Präsenzveranstaltungen und digitalen Technologien und Instrumenten. Die TUM Heilbronn beschäftigt sich seit Ende 2019 auch im Rahmen ihres Extended Reality Labs mit den Möglichkeiten virtueller Realität (VR). Seit Beginn dieses Sommersemesters können Studierende aus Produktions- und Logistikkursen VR-Headsets ausleihen und Vorlesungen und Simulationen in VR mitmachen.