Utopie oder Dystopie: Ein genauerer Blick auf die Idee eines Meta-Universums

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Längst keine Science-Fiction mehr: Wenn es nach Tech-Giganten wie Mark Zuckerberg geht, verlagert sich unser Alltag bald in ein neues, digitales Universum. Erst die Umbenennung des Facebook-Konzerns in den Namen „Meta“ und dann die Ankündigung, 50 Millionen Dollar sowie eine neue Abteilung mit neuen Arbeitsplätzen in die Gründung eines Meta-Universums zu investieren – Zuckerberg meint es ernst. Viele Expertinnen und Experten kritisieren das Vorhaben und vor allem auch die Vorreiterrolle, die das Unternehmen in dieser Entwicklung hätte. Prof. Jens Förderer ist Plattform-Experte an der TUM School of Management der Technischen Universität München am Campus Heilbronn und forscht an Themen der Innovation und Digitalisierung. Er beschäftigt sich schon seit Längerem mit der Bedeutung und den Folgen eines Meta-Universums. Welche Chancen und Risiken bergen die Vorhaben und welche Bedeutung haben die Entwicklungen für die Gesellschaft?

Was ist ein Metaversum?

Ein Meta-Universum ist eine virtuelle Nachbildung unserer Realität: Mit Hilfe von VR-Brillen kann man in die digitale Welt eintauchen und das alte Leben mit all seinen Problemen hinter sich lassen. Von der Couch aus ist es so möglich, verschiedene Orte zu bereisen, soziale Kontakte zu pflegen und neuen Hobbys nachzugehen, kurzum – sich eine neue Identität zu schaffen. Die Online- und die reale Welt sollen ineinander verschmelzen, so Prof. Förderer. Auch wenn das Metaversum „keine revolutionäre Erfindung“ von Zuckerberg sei, sondern auf bereits bestehenden Technologien aufbaue (erste Versuche gab es bereits Anfang der 2000er Jahre, mit der Plattform Second Life), stünden die Weichen für eine erfolgreiche Implementierung heute deutlich besser, erklärt  er. Denn neben dem riesigen technologischen Fortschritt berge die Digitalisierung neue Chancen für ein Projekt wie das Metaversum: Virtuelle Güter und Währungen sind inzwischen deutlich weiter verbreitet als noch vor rund 20 Jahren. „Auch die vielen Digital Natives, die neuen Technologien gegenüber aufgeschlossen sind, bieten eine gute Grundlage für eine breite Adaption eines solchen Projekts“, analysiert Prof. Förderer.

Chancen und Risiken – wie immer eine Abwägungssache

Laut Prof. Förderer lässt sich momentan pauschal nicht beurteilen, welche Chancen und Gefahren ein Metaversum birgt. Ein denkbarer positiver Effekt ist die Möglichkeit, Personen trotz räumlicher Distanz persönlich zu sehen – wenn auch virtuell. Während der weltweiten Lockdowns zu Zeiten der Corona-Pandemie wäre ein Metaversum der ideale Ort für Begegnungen gewesen – ohne Infektionsrisiko. Außerdem könne ein Metaversum „völlig neue Geschäftsmodelle“ erschließen, etwa das Erstellen von virtuellen Gebäuden oder Gegenständen, aber auch für die Werbebranche. Und nicht zu vergessen: das Dauerthema Nachhaltigkeit. Virtuelle Reisen könnten ein Baustein für CO2-Einsparungen sein und somit zu mehr Klimaschutz beitragen.

Auf der anderen Seite stehen die Risiken – und davon gibt es eine ganze Reihe. Prof. Förderer gibt zu bedenken, dass durch eine stärkere Digitalisierung der Gesellschaft mit weiter sinkender zwischenmenschlicher Interaktionen die Gefahr bestehe, „sozial zu verarmen“. Welche Inhalte und Werte in einem Metaversum gelten würden, ist nicht klar. Themen wie Datenschutz und Privatsphäre müssten in einer digitalen Welt eine noch größere Rolle spielen als bisher schon. „Wer kontrolliert den Datenzugang und wie werden Nutzerdaten geschützt?“, sind Fragen, die für Prof. Förderer noch offen sind und dringend geklärt werden müssten. Besonders wichtig sei hier die kritische Auseinandersetzung mit diesen Themen und zwar auf verschiedenen Ebenen – sowohl gesellschaftlich als auch wissenschaftlich und politisch.

Ein Blick in die Zukunft

Heißt das, wir werden uns jetzt bald nur noch digital begegnen? „Natürlich nicht“, stellt Prof. Förderer klar. „Ein Metaversum ist noch immer eine Vision [und] der Zeithorizont […] lässt sich nicht abschätzen.“ Ob es nun 10 oder 50 Jahre dauert bis Zuckerberg (oder jemand anderes) die Vision einer digitalen Welt realisiert, kann man bislang noch nicht vorhersagen. Aber eins ist sicher: das Internet wird sich dahin weiterentwickeln, ein immersiveres Erlebnis zu bieten.

Eine grundlegende Frage bewegt die Expertinnen und Experten: Wer sollte der Schöpfer und Verwalter des Metaversums sein? Spätestens seit den Enthüllungen der ehemaligen leitenden Produktmanagerin Frances Haugen steht Meta wegen brisanter Details zur Arbeitsweise ihres Ex-Arbeitgebers in der Kritik. Einem einzelnen Unternehmen die Kontrolle über die neue digitale Welt zu überlassen, würde die Probleme des Internets kopieren, bemerkt Prof. Förderer. Bereits heute würden die Tech-Giganten unsere virtuellen Interaktionen kontrollieren: Sie definieren, welche Inhalte gestattet sind und welche nicht, wer Zugang erhält, wer bevorzugt oder aber ausgesperrt wird. Um eine solche Abhängigkeit zu vermeiden, sei es essentiell, dass sich Regierungen und Institutionen nicht von neuen technologischen Möglichkeiten überraschen lassen, sondern von Anfang an mitreden und mitgestalten. „Um ein Metaversum zu schaffen, braucht es die Zusammenarbeit von Akteuren aus Politik, Industrie und Bildung, die einheitliche Regelungen festlegen“, so der Plattform-Spezialist an der TUM in Heilbronn.

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