Text: Helena Weise, Fotos: Nico Kurth & Meli Dikta
Über die Kunst zur Künstlichen Intelligenz
KI kann für uns vieles sein – Alltagshelferin, Romanheldin, komplizierte Mathematik. Mit dem KI-Salon will die Wissensstadt Heilbronn diese Technologie in allen Facetten erlebbar und diskutierbar machen. Und wie sollte das besser gehen als durch die Sprache der Kunst?
Die Idee kam im Berliner Futurium: Nicole Ondrusch saß mit ihrer Tochter in einer simulierten Wahlkabine. Eine Kamera scannte ihr Gesicht – und spuckte einen Moment später die Partei aus, die am besten zu ihr passte. Ondrusch, Professorin für Angewandte Informatik und Digitale Transformation an der Hochschule Heilbronn, identifizierte sich sofort mit möglichen Nutzerfragen: Welcher Algorithmus steckt da wohl hinter? Wie ist es technisch möglich, anhand des Gesichts die Wahlentscheidung vorherzusagen?
Auf diese Fragen fand sie schnell eine Antwort. Ein Computer erfasst Gesichtsmerkmale und gleicht sie mit gesammelten Daten ab – Daten dazu, wie Menschen aussehen, die in der CDU oder bei den Grünen sind. Die Logik dahinter: Du wählst automatisch die Partei, der du am ähnlichsten siehst. »Smile to Vote« heißt diese Installation von Alexander Peterhänsel.

Seminarauftakt: Am 15. Oktober startete das kooperative KI-Design-Seminar in den Räumen der 42 Heilbronn. Prof. Nicole Ondrusch (links), Designdozentin Dagmar Korintenberg (mitte) und Sabine Wieluch (rechts) erklären den Studennt*innen was auf sie zukommt.
Aber die Frage des technischen wie ist für Ondrusch nur der Anfang. Mit einem mulmigen Gefühl steige man aus der Kabine und frage sich: Will ich das? Will ich mir diese persönliche und geheime Entscheidung von einer KI abnehmen lassen? Und traue ich dem Algorithmus überhaupt zu, diese Wahl für mich zu treffen?
Kunst soll helfen, sich in diesem Spannungsfeld spielerisch zu bewegen
Die simulierte Wahlkabine hatte etwas angestoßen, das sie nicht mehr losließ. Kurze Zeit später lief sie gemeinsam mit Dagmar Korintenberg, Designerin und Lehrbeauftragte an der Fachhochschule Pforzheim, abends von einer Fortbildung zum Bus. »Ich sagte zu ihr: Du machst doch etwas mit Design. Und ich mache etwas mit Technologie. Sollen wir nicht ein Projekt machen, bei dem sich unsere Studenten mit beidem auseinandersetzen?«
Das war vor etwas mehr als einem Jahr. Mittlerweile leiten die beiden Frauen ein gemeinsames Seminar: Student*innen der visuellen Kommunikation aus Pforzheim gestalten Kunstwerke und Informatik-Studenten aus Heilbronn programmieren die KI dazu. Im Februar, am Ende des Semesters, präsentieren sie ihre Ergebnisse in einer Ausstellung.
Das Seminar ist das erste Projekt des KI-Salons, mit dem die »KI-Salonist*innen« — ein Zusammenschluss aus Akteur*innen der örtlichen Hochschule, der Programmierschule 42 Heilbronn, der Experimenta, des Wissensstadt Heilbronn e. V. und Freiberuflern – die Vor- und Nachteile von neuen Technologien zur Diskussion stellen will. Gefördert wird der Salon von der Dieter-Schwarz-Stiftung. Gemeinsam wollen sie Räume aufmachen, in dem sich mit Künstlicher Intelligenz Utopien spinnen, aber auch ihre Grenzen erkennen lassen. Die Kunst soll dabei helfen, sich in diesem Spannungsfeld spielerisch zu bewegen.

Prof. Dr. rer. nat. Nicole Ondrusch hat Wirtschaftsmathematik, Informatik und Philosophie, Politik und Wirtschaft in Bayreuth, Stuttgart und München studiert. Seit März 2020 ist sie Professorin für Angewandte Informatik und Digitale Transformation an der Hochschule Heilbronn.
»Ich bin Dozentin, ich habe die Aufgabe, Studenten zum Denken zu bringen«, sagt Nicole Ondrusch. »Es gibt Tage, da würde ich am liebsten sagen: Denkt mal tiefer. Aber ein Kunstprojekt kann viel besser zur Diskussion anregen, als wenn ich da vorne stehe und sage: Jetzt wägt mal die Chancen und Risiken von KI ab.«
Für die Studenten aus Heilbronn und Pforzheim eröffnet sich jeweils eine neue Welt.
Sabine Wieluch nickt. Sie ist neben den beiden Dozentinnen die dritte Frau hinter dem Seminar. Die Muse auf der einen Seite und gleichzeitig das Mädchen für Alles, wie sie selbst sagt. Denn Wieluch ist in beiden Welten zu Hause: hinter dem Bildschirm genauso wie in den Ausstellungshallen. Die 29-Jährige ist »Creative Technologist«. Das heißt vereinfacht gesagt: Sie programmiert Kunst.
Angefangen hat sie damit vor ungefähr drei Jahren. Sie hatte nach dem Informatik-Studium in Ulm eine Promotionsstelle im Bereich Nachrichtentechnik begonnen und abgebrochen. In den Monaten danach stieß sie auf einen Vortrag im Internet, der sie begeisterte. Die US-amerikanische Professorin und Künstlerin Kate Compton (»Galaxy Kate«) erklärte darin, wie sie Kunst-Bots programmierte. Zwei Tage später teilte Sabine Wieluch ihr erstes Projekt auf Twitter: Einen Käfer-Generator, der anhand von 50 Parametern zig Milliarden unterschiedlicher Käfer zeichnen kann.
Lange blieben solche Spielereien mit Codes und Kunst ihr Hobby. Heute ist sie mit ihren KI-Installationen selbstständig, während sie als Doktorandin an der Universität Ulm dazu forscht, wie die Kreativbranche mit Künstlicher Intelligenz besser zusammenarbeiten kann.

Sabine Wieluch aka bleeptrack liebt generatives Zeug aller Art. Ihre Hauptinteressen liegen in den Bereichen Generative oder AI Art, Digital Fabrication und DIY Electronics. Sie unterrichtet an verschiedenen Universitäten und liebt es, Vorträge und Workshops zu halten.
Dieses Wissen gibt sie jetzt im Rahmen des Kunst- und KI-Seminars weiter. Für die Studenten aus Heilbronn und Pforzheim eröffnet sich jeweils eine neue Welt. Auf der einen Seite die jungen Designer mit den großen Fragen und schwammigen Ideen im Kopf. Auf der anderen Seite die Informatikstudenten, die es gewohnt sind, technische Lösungen für klare, überschaubare Probleme zu finden.
»Ich bin kein Roboter.«
»Wir brauchen diesen Austausch«, ist Sabine Wieluch überzeugt. Damit auch die Menschen hinter den Computern, die den Algorithmus schreiben, ihre Technologie kritisch hinterfragten. Viel zu oft würden Programme geschrieben, die zwar einwandfrei funktionierten, aber am Problem völlig vorbeigingen. Das beginne schon damit, wer das Programm schreibe. Eine Menstruations-App zum Beispiel sollte am besten jemand programmieren, der selbst menstruiere.
Für die Ausstellung am 18. Februar tüfteln die Studenten bereits an ihren Installationen. Eine Gruppe will zum Beispiel eine virtuelle Welt programmieren, aus der man dann reale Postkarten verschicken kann.
Ein anderes Team hat sich von dem Sicherheitsmechanismus im Internet inspirieren lassen, bei dem man ein Häkchen setzen muss, um zu beweisen, dass man kein Roboter sei. Uns stellt sich die Frage: »Was ist Menschlichkeit?« Die Idee für die Ausstellung: Man tritt vor eine Kamera und wird fotografiert oder gefilmt. Eine KI schnappt sich das Material, verändert es kaum merklich und lässt einen dann mit verzerrter Stimme sagen: »Ich bin kein Roboter.«
Ondrusch findet die Idee hinter dem Projekt interessant. »Ich frage mich da sofort: Was macht den Menschen aus?« Sie guckt in die Kamera ihres Laptops, denkt kurz nach und sagt dann: »Das ist wie bei unserem Gespräch jetzt gerade. Wir sitzen hier, wir sehen uns an – aber wieso sind wir uns so sicher, dass wir keine KI sind? Wie können wir beweisen, dass wir real sind? Das ist gar nicht so einfach.«

KI-Design-Seminar goes Maschinenfabrik Heilbronn: Der zweite Teil des Auftakts des Seminars fand in der Heilbronner Maschinenfabrik statt, wo u. a. bleeptrack einen Vortrag hielt und danach bei gutem Wein diskutiert wurde.
Das »Ich bin kein Roboter«-Projekt zeigt: Nicht immer muss eine Künstliche Intelligenz die Kunst produzieren, damit die Idee in einer Ausstellung gezeigt werden kann. Ebenso kann das Projekt zum Ziel haben, KI begreifbar zu machen, indem man sie ausprobieren und anfassen kann. Die Wahlkabine, die Nicole Ondrusch vorschlug, welche Partei sie wählen solle, ist auch solch ein Projekt. Sie zeigt den Besuchern, wie automatische Gesichtserkennung funktioniert. Darüber hinaus zeigt sie, wie berechenbar die eigene Wahlentscheidung ist. Und zuletzt, sagt Ondrusch, führe sie uns ein ganz und gar menschliches Verhaltensmuster vor Augen: Und zwar jemanden auf Basis seines Aussehens in Schubladen zu stecken. »Wir machen ja nichts anderes, wenn wir sagen: Der sieht aus wie ein BWLer.«
»Wir müssen uns fragen, was wir unseren Kindern beibringen wollen – und wie. Darauf brauchen wir keine technische, sondern eine gesellschaftliche Antwort.«
Wichtig ist den KI-Salonistinnen und KI-Salonisten, dass zwischen Kunst, KI und Betrachter etwas passiert. Dass Technik Philosophie anstößt und umgekehrt. Dabei können Chancen von neuen Technologien genauso angesprochen werden wie ihre Risiken.
»Ich persönlich mag es nicht, wenn Technologie benutzt wird, um den Menschen zu bevormunden. Wenn alles ein Algorithmus regelt und wir uns selbst nichts mehr zutrauen«, sagt Sabine Wieluch. So sehr die KI sie auch begeistert – spannend mache es gerade das Zusammenspiel aus menschlicher und künstlicher Intelligenz.

KI-Frauen: »Creative Technologist« Sabine Wieluch (links) und Prof. Dr. Nicole Ondrusch von der Hochschule Heilbronn
Nicole Ondrusch fügt noch einen Punkt hinzu: »Ebenso stört es mich aber, wenn KI als Heilsbringung für sämtliche Probleme gehandelt wird, die wir gerade haben. Wir haben zu wenig Ärzte in Deutschland. Aber statt, dass wir unsere Ausbildungskriterien überdenken, hoffen wir darauf, dass die KI das schon lösen wird.«
»Bei der Klimakrise ist es das gleiche«, wirft Wieluch ein.
»Und bei der Bildung auch«, ergänzt Ondrusch. »Wir trainieren unsere Gehirne mit KI, über Sprach-Apps zum Beispiel. Aber wir müssen uns doch auch fragen, was wir unseren Kindern beibringen wollen – und wie. Darauf brauchen wir keine technische, sondern eine gesellschaftliche Antwort.«
Dialoge wie diese zeigen, wie groß das Feld ist, das Kunst und KI aufmachen – für Fragen, für Debatten, für Experimente. Mit dem Seminar macht der Heilbronner KI-Salon nun einen Anfang. Und Sabine Wieluch hat schon Ideen für danach: Jam-Sessions, Theater- und Performance-Projekte sollen die Installationen in der Ausstellungshalle ergänzen. Die Möglichkeiten, Künstliche Intelligenz zu begreifen und zu diskutieren, sind noch lange nicht ausgeschöpft.