Raoul Zöllner: Der Forscher, der autonome Fahrzeuge und smarte Lüftungssysteme revolutioniert

Text: Joshua Kocher, Fotos: Nico Kurth

Raoul Zöllner: Der Forscher, der autonome Fahrzeuge und smarte Lüftungssysteme revolutioniert

Die Hochschule Heilbronn entwickelt unter der Leitung von Raoul Zöllner innovative Technologien, die sowohl im Bereich autonomes Fahren als auch in der Optimierung von Lüftungssystemen neue Maßstäbe setzen.

Ein selbstfahrender Shuttle-Bus und ein Lüftungssystem. Viel haben die beiden Projekte auf den ersten Blick nicht gemeinsam, von denen Raoul Zöllner erzählt. Doch wenn Zöllner etwas weiter ausführt, erkennt man, dass sie doch einiges verbindet. Und, dass sie exemplarisch zeigen, was die Hochschule Heilbronn (HHN) mit ihrer Forschung erreichen will.

Dort nämlich arbeitet Raoul Zöllner und das gleich in dreifacher Funktion. Als Prorektor für Forschung, Transfer, Innovation ist er Botschafter der Hochschule in der Region und unterstützt seine Kolleg:innen darin, Lehre und Forschung verbinden  zu können. Als Geschäftsführer leitet er das Institut für Kraftfahrzeugtechnik und Mechatronik, kurz IKM, das sich viel mit autonomem Fahren beschäftigt. Und als Forschungsprofessor für Automone Systeme hält er in den Bachelor- und Master-Studiengängen „Automotive Systems Engineering“ Vorlesungen. Außerdem ist er Vorsitzender des Vereins „Wissensstadt Heilbronn“. Seine Leidenschaft, das wird schnell klar, ist die Forschung.

Diese finde an der Hochschule Heilbronn nicht im Elfenbeinturm statt, sondern sei stark auf die praktischen Bedürfnisse der Technologieregion Heilbronn ausgerichtet. Gegründet 1961 als Staatliche Ingenieursschule wurde die HHN erst zur Fachhochschule, dann zur Hochschule und 2010 schließlich zur Hochschule für Angewandte Wissenschaften. „Wissenschaft verstehen wir als eine gesellschaftliche Aufgabe, die uns voranbringt“, sagt Zöllner. „Sie zeigt Handlungsimpulse auf und schafft damit Fortschritt.“ Die Hochschule will Innovationstreiberin der Region sein. Mit Projekten wie den beiden, von denen Zöllner erzählt.

In Bad Wimpfen, einer gut zwanzig Minuten langen Autofahrt vom Bildungscampus entfernten Kleinstadt am Neckar, steht die Lidl-Hauptverwaltung. Ein modernes, gerade fertig gebautes Gebäude mit Platz für 1500 Mitarbeiter:innen. Seit August 2022 bringt ein autonom fahrender Shuttle-Bus der Schwarz Unternehmensgruppe die Angestellten vom Bahnhof dorthin. Die Strecke von gut anderthalb Kilometern schafft das Shuttle in zehn Minuten.

Wie unter anderem dieses Shuttle in Zukunft völlig selbstständig im Stadtverkehr fahren kann, erforschen Raoul Zöllner und sein Team im Projekt „Shuttle2X“. Klappt ihr Vorhaben, wäre das ein Sprung auf Stufe vier des autonomen Fahrens, kurz vor der Vollautomatisierung ohne Sicherheitsfahrer. Das ist bislang nirgends in Deutschland zugelassen worden.

 Um ihr Ziel zu erreichen, forschen Zöllner und sein Team gleich an drei Standorten rund um die Teststrecken in Karlsruhe, Bad Wimpfen und Renningen mit. Partner sind die Robert Bosch GmbH, das Forschungszentrum Informatik Karlsruhe (FZI), die Reusch Rechtsanwaltsgesellschaft, der Softwareentwickler Nordsys sowie die Tech-Firma Sonah und die Fraunhofer-Gesellschaft.

Ganz konkret geht es im Projekt darum, wie die Shuttles effizient und sicher mit ihrer Umwelt kommunizieren, mit Ampeln zum Beispiel, aber auch, wie sie einen Kreisverkehr meistern, eine Ausfahrt oder Engstellen. Auf der Straße herrscht bekanntlich nie ein und derselbe geregelte Betrieb. Darauf müssen die Shuttles vorbereitet werden. „Wir wollen flüssig alle Situationen meistern können, von Regen bis Schnee, aber auch ungewöhnliche Ereignisse wie einen Fasnachtsumzug.“

Diese Entwicklung vergleicht Raoul Zöllner mit der Entwicklung des Fahrstuhls. Ganz früher stand in jedem Hotel ein Mensch mit in der Kabine und passte auf, dass die Passagiere sicher nach oben kommen. Zu neu war die Erfindung, als dass man sie ganz sich selbst überlassen wollte. Heute ist es selbstverständlich, dass wir einfach einen Knopf drücken und alleine auf unser Hotelzimmer fahren. Dahin will man mit dem autonomen Fahren auch kommen.

Auf den vier Campus der Hochschule Heilbronn wird neben dem Schwerpunkt „Automotive & Mobility“ auch im Bereich „Materials Processing & Engineering“ geforscht sowie zu „Digital Living Environments & Health“. Aus letzterem stammt das zweite Projekt, an dem Zöllner die Leitung hat.

Angetrieben werden die Forschenden von den Erfahrungen der Corona-Pandemie. Die Menschheit beschäftigte sich darin so stark wie noch nie mit dem richtigen Lüften von Räumen. Plötzlich wussten viele Menschen, was Aerosole sind und wie sie sich verbreiten, Lehrer:innen stellten CO2-Ampeln in Klassenräume und Teamleiter Luftfilter in das Großraumbüro. Oft sei dabei jedoch viel Energie verpufft, sagt Zöllner. Durch den Antrieb der Luftfilter, oder, weil die Fenster zu lange offen bleiben und die Heizenergie ins Freie entwicht.

Im Forschungsprojekt „ESTATE“ sollen Gesundheitsschutz und Energieeffizienz miteinander verknüpft werden. Konkret versucht die Forschungsgruppe um Zöllner und seine Kollegin Professorin Jennifer Niessner das Material und die Form von Luftfiltern zu optimieren, sie effizienter arbeiten zu lassen — und nebenbei die Akustik zu verbessern. Gemeinsam mit der Firma „Mann+Hummel“, Weltmarktführer in der Filtration, sowie dem Dortmunder Digital-Start-Up „ebm-papst neo“, das sich mit Ventilatoren und Antrieben auskennt, entwickeln die Forschenden Sensoren, welche Luftqualität, Strömungen und Wärme messen. Sind nun Virenpartikel in der Luft oder nicht? Muss die Lüftung so umgesteuert werden, dass die Partikel abgesogen werden? Mit einer Künstlichen Intelligenz möchte Zöllner erreichen, dass die Messdaten in der Anlage so ausgelesen werden, dass das System automatisch seine Lüftungseinstellung anpasst.

In die Forschungsprojekte eingebunden sind immer auch Studierende und Promovierende der Hochschule Heilbronn. Bei „ESTATE“ zum Beispiel arbeitet der wissenschaftliche Nachwuchs daran, wie Infrarot-Sensoren in den intelligenten Luftfilter integriert werden können. Diese sollen erkennen, wo sich im Raum Menschen befinden und an welchen Stellen sich die Lüftung einschalten soll.

Wenn er träumen dürfte, sagt Raoul Zöllner, stellt er sich eine U-Bahn-Station vor, die so belüftet werden kann, dass Grippewellen kein Risiko mehr darstellen. Konkreteren Nutzen für die Gesellschaft gibt es wohl kaum. Womit wir wieder beim großen Ziel der Hochschule Heilbronn wären.