Prof. Nicole Graf hat als Rektorin der DHBW Heilbronn die Entwicklung des Bildungscampus von Beginn an miterlebt und die DHBW Heilbronn u. a. zu der »Kaderschmide« des Handels in Deutschland gemacht. Ein Gespräch und ein Blick in die Vergangenheit und Zukunft des Bildungscampus undder DHBW Heilbronn.
Interview: Robert Mucha; Fotos: Nico Kurth
wissensstadt.hn: Frau Graf, Sie waren hier auf dem Gelände des Heilbronner Bildungscampus die erste Professorin am Platz zu einer Zeit, als noch nichts stand. Und wenn die Legende stimmt, saßen Sie mit ihren ersten Mitarbeiter*innen in einem Container.
Prof. Nicole Graf: Ich saß mit zweieinhalb Mitarbeiter*innen im Hinterhof der Stadtwerke in einem Übergangsgebäude, das für uns ertüchtigt wurde. Ich war damals als Außenstellenleiterin für diesen Standort berufen und habe aus Mosbach Dr. Ulrich Zeyer für den Studiengang Konsumgüterhandel mitnehmen dürfen, dazu kam Prof. Günter Käßer-Pawelka aus Stuttgart für den Bereich Dienstleistungsmanagement – und dann gab es noch eine halbe Sekretariatsstelle. Die Bilder aus dieser Zeit habe ich im Zuge unseres zehnjährigen Jubiläums noch mal angeschaut. Wir sind tatsächlich mit drei Umzugskisten in die alten Räumlichkeiten der Stadtsiedlung eingezogen. Im September 2011 sind wir dann auf den Campus gezogen.
wissensstadt.hn: Konnten Sie sich damals vorstellen, was innerhalb von zehn Jahren tatsächlich hier entstanden ist?
Prof. Nicole Graf: Also ich glaube, man muss Ziele und eine Vision haben – und die hatte ich. Mir war klar, dass wir uns mit unserem Studienangebot erfolgreicher etablieren würden, wenn wir unsere Studienangebote schnell bundesweit vermarkten, weil wir durch den politischen Willen ein extrem enges Portfolio hatten. Es war klar: Das kann nicht nur für die Region sein. Wir wollten in der Region verankert sein, aber mit bundesweiter Strahlkraft. Es war schon früh ersichtlich, dass es für diese Studiengänge ein großes Potenzial gibt, weswegen ich frühzeitig mit Investoren für Studentenwohnheime in Kontakt getreten war. Denn wenn wir bundesweit Studierende und Unternehmen anziehen, brauchen sie hier Wohnraum. Und es war tatsächlich so, dass ein paar Investoren relativ schnell die ersten Studentenwohnheime gebaut haben. Die Planung ist und war mit den A-und B-Zyklen so ausgelegt, dass Studierende das ganze Jahr über ohne Pause die Wohnung belegen. Kurzum: Es braucht eine Story, es braucht die richtigen Produkte, in dem Fall eben die richtigen Studiengänge, und man muss es aktiv nach außen tragen.
wissensstadt.hn: Aber das war erst der Anfang …
Prof. Nicole Graf: Es ging dann wirklich schnell weiter und wir durften unser Portfolio weiterentwickeln. Ich konnte den Studiengang Food Management, den ich in Bad Mergentheim gegründet hatte, hierherholen. Dies war ein wichtiger Baustein für unseree Portfolio-Prägung: Dass wir heute die größte Handelshochschule Deutschlands sind und in der Branche als die Kaderschmiede für den Nachwuchs in der Lebensmittelbranche gelten. In diesem Jahr feiert der Studiengang bereits sein 15-jähriges Bestehen. Im September werden wir zum ersten Mal einen Food Innovation Day ausrichten, auf dem wir ausgewiesene Experten für die wichtigen Themen Nachhaltigkeit und Digitalisierung in der Food-Branche versammeln.

wissensstadt.hn: Sie und ihr Team haben also erfolgreiche Pionierarbeit geleistet …
Prof. Nicole Graf: Ich glaube, es hat die Dieter Schwarz Stiftung motiviert, dass wir als DHBW Heilbronn vom Bildungscampus aus sehr aktiv waren, uns auch in gesellschaftliche Themen eingebracht haben und eine Sichtbarkeit in der Bevölkerung und in der Presse erzeugten. Dadurch wurde vielen bewusst, dass Heilbronn durchaus eine Hochschul- und Studentenstadt der Zukunft werden kann. Was folgte, ist Geschichte. Die Dieter Schwarz Stiftung hat unser weiteres Wachstum ermöglicht, dazu kam die Förderung für die Hochschule Heilbronn und letztendlich ist mit der TU München ein gigantischer Player hier auf dem Bildungscampus Heilbronn gelandet. Daraufhin folgte die Ansiedlung der Forschungsinstitute wie Steinbeis und Fraunhofer, dazu die Gründung der Campus Founders und der 42 Heilbronn – und nun die Erweiterung des Bildungscampus Richtung Westen und Neckarbogen sowie der Bau des KI-Innovationsparks. Alle genannten Player spielen eine wichtige Rolle, um Heilbronn und die Region zukunftsfähig zu gestalten.
wissensstadt.hn: Was waren denn die wichtigsten Meilensteine in den zehn Jahren DHBW Heilbronn?
Prof. Nicole Graf: Ich glaube, der entscheidende Schritt war, dass wir nach Heilbronn gekommen sind, denn die erste Idee war, eine weitere Außenstelle der Berufsakademie Mosbach in Neckarsulm einzurichten. Es war wichtig, dass die Entscheidung letztendlich für Heilbronn gefallen ist. Wir wissen heute, dass es einige Glücksfälle gebraucht hat, dass wir tatsächlich das, was heute Heilbronn als Wissensstadt prägt, hier entstehen konnte. Unter anderem war es ein großes Glück, dass dieses Areal in Innenstadtnähe verfügbar war. Sonst wäre es ein Campus geworden, der am Stadtrand nicht diese Wahrnehmung bekommen hätte. Ein weiterer entscheidender Meilenstein war, dass die damals junge Außenstelle in Heilbronn zur selbstständigen Studienakademie wurde und damit ihre Angebote passgenau für den Bedarf der Wirtschaft entwickeln konnte. Einen wichtigen Mosaikstein bilden unsere neuen Labore. Das Labor-Zentrum hat zur Profilbildung erheblich beigetragen: Sowohl unser nser Kulinarik- als auch das Sensorik-Labor oder aber das Consumer Lab, wo viele wissenschaftliche Arbeiten der Studierenden abgebildet werden, wo wir besondere Projekte von Unternehmen und Organisationen bearbeiten können – mit einer operativen wissenschaftlichen Untermauerung. Das macht uns einzigartig. Und es ist uns ein wichtiges Anliegen, dass wir als Hochschule einen Mehrwert für die Region bieten. Und zwar nicht nur, weil wir Studenten qualifizieren, sondern dass wir mit dem, was wir wissenschaftlich und in den Forschungsbereichen aktiv tun, ganz bewusst Heilbronn und die Region unterstützen. Wir greifen Fragestellungen von Unternehmen, Gemeinden, Kommunen oder Institutionen auf, die wir hier wissenschaftlich und für die Unternehmen kostenfrei bearbeiten und mit denen sie dann in der Umsetzung wieder die Region stärken.

wissensstadt.hn: Und weiter wachsen wird die DHWB Heilbronn in Zukunft auch?
Prof. Nicole Graf: Wir sind in seit unserer Gründung Jahr für Jahr weitergewachsen und sehen nach wie vor einen zunehmenden Bedarf der Wirtschaft nach Dualen Studienplätzen. Sowohl in unseren schon länger bestehenden, als auch in den neuen, digitalen Studiengängen. Seit 2020 bieten wir Wirtschaftsinformatik an und die Nachfrage ist riesig. Leider merken gerade die kleineren Unternehmen – wie auch die gesamte Wirtschaft in vielen anderen Ausbildungsbereichen – einen vermehrten Mangel an guten Bewerbern.
wissensstadt.hn: Der KI-Innovationspark kommt nach Heilbronn. Welche Bedeutung hat diese Ansiedlung für die DHBW Heilbronn? Hat er jetzt schon Einfluss auf die Gestaltung neuer Studiengänge?
Prof. Nicole Graf: Wir haben natürlich das Thema, dass künstliche Intelligenz nahezu in allen Lebensbereichen eine Rolle spielt. Und wenn wir in die Handelsorganisation reinschauen oder in die Weinbranche, sehen wir, dass KI in den Geschäftsprozessen, die für diese Organisationen, Unternehmen und Branchen zukünftig existenzentscheidend sind, immer relevanter wird. Von daher ist der KI-Innovationspark für uns als DHBW wie für alle anderen Hochschulen und Forschungsinstitutionen hier auch, natürlich ein großer Antrieb. Das war ein großartiger Tag, an dem diese Entscheidung verkündet wurde. Der Wettbewerb war ja enorm. Ich finde, für Heilbronn ist dieser Zuschlag absolut gerechtfertigt.
wissensstadt.hn: Ein weiteres spannendes Zukunftsfeld für die DHBW Heilbronn ist das Forschungsprojekt zu personalisierter Ernährung (Nutrition Health Care). Ein No-Brainer, weil das Thema Ernährung ein Megatrend ist?
Prof. Nicole Graf: Wir sind momentan in einem Stadium des Forschungsprojekts, in dem wir versuchen, einen detaillierteren Einblick darüber zu gewinnen, was es bereits an Erkenntnissen gibt. Inwieweit kann sich personalisierte Ernährung, bezogen auf ein einzelnes Individuum, auf dessen Gesunderhaltung, die Vermeidung von Krankheiten oder eine schnellere Genesung im Krankheitsfall, auswirken. Es gibt viele interdisziplinäre Forschungsansätze, von denen natürlich die meisten aus der Medizin stammen. Deswegen arbeiten wir u.a. eng zusammen mit Professor Dr. Martens vom SLK-Klinikum und Prof. Dr. Lars Steinmetz aus Heidelberg und Stanford. Wir arbeiten aber auch mit der TU München und anderen Institutionen zusammen, die aus ihren verschiedenen Disziplinen sich mit solchen Fragestellungen beschäftigt haben. Die Forschung untersucht, wie man über eine spezifische individuelle Ernährung dafür sorgen kann, dass der Körper genau die richtigen Nährstoffe kriegt, damit er das, was er von der ersten Verschmelzung von Spermium und Eizelle angefangen hat, zu tun, nämlich Zellen zu reproduzieren, möglichst präzise macht und damit im besten Fall Krankheiten vermieden werden.

wissensstadt.hn: Klingt verlockend.
Prof. Nicole Graf: Letztendlich steht dahinter natürlich der Traum, dass wir alle Krankheiten besiegen und dass wir dadurch, wie wir uns ernähren und wie wir uns verhalten, ein langes und gesundes Leben haben. An so einem Thema mit forschen zu können, ist toll. Deswegen wird der Studiengang, den wir entwickeln, wahrscheinlich personalisierte Ernährung und digitales Gesundheitsmanagement heißen. Dabei sind die dualen Partner weniger Lebensmittelproduzenten und Händler, sondern sie kommen aus der Medizin, der Pharmaindustrie oder aus dem wachsenden Markt um Nahrungsergänzungsmittel.
wissensstadt.hn: Und wann startet der Studiengang?
Prof. Nicole Graf: Der Studiengang soll 2024 an den Start gehen.
wissensstadt.hn: Sie haben schon erwähnt, dass sich die DHBW in gesellschaftliche Themen in der Stadt und Region einbringt und ihnen das wichtig ist. Wie soll die DHBW auf Heilbronn und die Stadtgesellschaft einwirken?
Prof. Nicole Graf: Man muss zwei Elemente unterscheiden. Das erste ist tatsächlich, den Unternehmen mit unserer Lehre möglichst viele gut qualifizierte Absolventen zu bringen, damit die Partnerunternehmen so ihre Wettbewerbsfähigkeit weiter stärken und aufrechterhalten können. Wir sind in einer wirtschaftlich extrem starken Region. Und wir sind eine Region, die nach wie vor Mangel an Fach- und Führungskräften hat. Und da versuchen wir als DHBW Heilbronn einen Beitrag dazu zu leisten, damit diese Unternehmen auch zukünftig erfolgreich sind. Das zweite Element ist mir ein großes Anliegen: die Attraktivität von Heilbronn weiter zu entwickeln. Die Stadt muss jung werden, sie muss modern werden, sie darf multikulturell sein, aber mit einem hohen Bildungsimpact. Wenn es nach mir ginge, dürften die Bürger*innen offener stolz auf die Stadt sein. Wir müssen uns alle gemeinsam anstrengen, gerade nach Corona und den Auswirkungen auf die Kultur und Innenstadt.
wissensstadt.hn: Wenn Sie eine Maßnahme zur Attraktivitätssteigerung Heilbronns anordnen könnten, welche wäre es?
Prof. Nicole Graf: Alles, was die Innenstadt belebt und attraktiver macht. Und im Sommer würde ich mit ein wenig Sand wünschen, um den kleinen Neckarsandstrand der Kaffeebucht verlängern, vielleicht sogar bis zum Götzenturm. Es ist faszinierend zu sehen, was für eine entspannte Atmosphäre mit ein bisschen Sand und ein paar Liegestühlen entstehen kann.