Die Corona-Pandemie schränkt das öffentliche Leben weiter ein und hat weitreichende langfristige Auswirkungen auf Gesellschaft, Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft. Insbesondere die Ausbreitung des Corona-Virus in Innenräumen und über luftgetragene Partikel, also Aerosole, steht aktuell im Zentrum vieler Diskussionen. Was kann getan werden, um das gesellschaftliche Leben in Innenräumen wie in Klassenzimmern, Großraumbüros, Produktionshallen, Gaststätten oder auch im öffentlichen Nahverkehr sicher zu gestalten? Wie wirksam die möglichen Schutzmaßnahmen nach dem derzeitigen Stand der Forschung sind, haben wir Jennifer Niessner gefragt. Niessner ist Forschungsprofessorin für Fluidmechanik an der HHN und forscht aktuell mit ihrem Team in verschiedenen Projekten im Bereich des Aerosolpartikeltransports und der Aerosolpartikelfiltration.
Welche der Schutzmaßnahmen wie regelmäßiges Lüften, Abstand-Halten, das Tragen von FFP2-Masken und der Einsatz von Raumluftfiltern ist laut der aktuellen Forschungslage denn am wirksamsten gegen eine Ansteckung mit Covid19 in Innenräumen?
All diese Schutzmaßnahmen wirken tatsächlich gut gegen Infektionen durch virenbeladene Aerosolpartikel. Das sind kleine Partikel, die wir beim Sprechen, Husten, Niesen, Singen, aber auch nur beim Atmen ausstoßen und die ein Hauptinfektionsweg im Zusammenhang mit COVID-19 sind. Tatsächlich ist es so, dass ein guter Infektionsschutz nur durch eine Kombination von Maßnahmen erreichbar ist. Darauf weisen wir z.B. in der Stellungnahme des Expertenkreis Aerosole hin. Das Problem ist, dass man sich auf direktem und indirektem Weg infizieren kann und dass keine der Maßnahmen das Infektionsrisiko vollständig eliminiert. Durch eine Kombination von Maßnahmen lässt sich das Risiko deutlich weiter senken als durch eine Einzelmaßnahme. Es ist wie beim Autofahren: Der Sicherheitsgurt allein sollte nicht die einzige Schutzvorkehrung am Fahrzeug sein.
Was heißt denn überhaupt „direktes und indirektes Infektionsrisiko“?
Direktes Infektionsrisiko betrifft Situationen, in denen Personen in engem Kontakt sind und wo sich ausgestoßene Partikel direkt von der infizierten Person zu einer gesunden Person bewegen können. Dagegen helfen Abstand-Halten und Masken. Masken wirken auch gegen indirekte Infektionen, also Infektionen, die dadurch hervorgerufen werden, dass sich Aerosolpartikel in Innenräumen über die Zeit anreichern. Hier hilft Abstand dann nicht mehr. Die Aerosolpartikel müssen durch Lüften, über stationäre raumlufttechnische Anlagen oder über Raumluftfilter entfernt werden.
Was bringt Lüften und wie häufig und wie lange muss es stattfinden?
Durch das Lüften wird nicht nur die CO2-Konzentration gesenkt – was die Konzentration fördert –, sondern mit der verbrauchten Luft werden auch die evtl. infektiösen Aerosolpartikel gegen Frischluft ausgetauscht. Wichtig ist dabei, dass „richtig“ gelüftet wird, d.h. alle Fenster komplett geöffnet werden („Kippen“ ist nicht „Lüften“), denn der Luftaustausch funktioniert umso besser, je größer die offene Fensterfläche ist und je größer der Temperaturunterschied zwischen drinnen und draußen ist. Das Umweltbundesamt (UBA) empfiehlt z.B. für Schulen das Lüften nach 20 min für die Dauer von 5 min, bei kalten Außentemperaturen reichen 2-3 min. Alternativ kann Lüftungszeitpunkt und -Dauer per CO2-Ampel identifiziert werden. Darauf haben wir auch mit einer Gruppe von Wissenschaftlern, koordiniert durch das UBA, hingewiesen (vgl. https://www.mpic.de/5099053/schulbetriebpandemie).
Kürzlich hat die Stiftung Warentest CO2-Messgeräte und -Ampeln getestet. Ist CO2 ein guter Indikator für potentiell virenbeladene Aerosole?
Für Standardsituationen (z.B.: im Raum sitzen Personen und reden nicht) ist CO2 ein toller Indikator für die Aerosolpartikelkonzentration. Abweichungen gibt es einerseits dann, wenn entweder Partikel oder CO2 durch etwas anderes als Personen produziert oder entfernt werden. Das beinhaltet z.B. grüne Pflanzen, Haustiere, Feuer, aber auch Raumluftfilter. Andererseits gibt es Aktivitäten, bei denen das Verhältnis von CO2- zu Aerosolausstoß deutlich abweicht. So werden beim Reden, aber noch mehr beim Singen im Verhältnis deutlich mehr Aerosolpartikel ausgestoßen als CO2. In jedem Fall ist aber CO2 ein Indikator dafür, wann gelüftet werden muss und damit ein Anhaltspunkt dafür, wie gut potentiell virenbeladene Aerosolpartikel durch die Fenster abtransportiert werden.
Bringt ein ständig laufender Raumluftfilter eine höhere Reduktion von virenbeladenen Aerosolen?
Richtig. Raumluftfilter saugen Raumluft an, filtern Aerosolpartikel heraus und reduzieren so die Aerosolpartikelkonzentration im Raum weiter, insbesondere dann, wenn die Fenster nach einer Lüftungsphase wieder geschlossen werden. Sie können also die Aerosolpartikelkonzentration nachhaltig auf einem niedrigen Niveau halten. Bei einer stringenten Einhaltung einer Kombination hochwirksamer Schutzmaßnahmen gegen indirekte Infektionen (sehr schwache Raumbelegung, hocheffektive Masken wie FFP2-Masken, konsequentes Lüften bei ausreichender Fensterfläche) lassen sich Infektionsrisiken bereits auf ein sehr geringes Level reduzieren, wie wissenschaftliche Berechnungen zeigen. Falls diese Maßnahmen allerdings nicht vollumfänglich umsetzbar sind, kann ein Raumluftfilter ein sehr wertvoller Zusatzbaustein im Infektionsschutz sein.
Es kommen stetig neue Luftfilter und auch Luftreinigungsgeräte auf den Markt. Wie wirksam sind diese Geräte wirklich?
Es kommt darauf an. Luftfilter sind sehr wirksam, wenn Sie einen Volumenstrom passend zur Raumgröße aufweisen und mit einem hochwirksamen Filter ausgestattet sind, der „anständig“ verbaut ist. Im Rahmen des MWK-Verbundprojekts „Testaerosole“ sind uns da bei Experimenten zu Geräteabscheidegraden wenige „schwarze Schafe“ untergekommen, die auf ein verbautes hochwirksames Filtermaterial hingewiesen haben, das dann aber ohne Abdichtung eingebaut wurde, so dass es umströmt werden konnte. Das ist aber die absolute Ausnahme.
Dem Einsatz von verschiedenen alternativen Luftreinigungstechniken wie Kaltplasma, Ozonisierung, UV-C stehen einige eher zurückhaltend gegenüber, da die Bildung von unerwünschten Nebenprodukten befürchtet wird oder teilweise Wirksamkeitsnachtweise noch ausstehen.
Aus energetischer Sicht schneiden meist weder Lüften noch Raumluftreiniger gut ab. Daher wollen wir im Rahmen des BMWi-geförderten Forschungsprojekts ESTATE (Start am 1.1.2022) Methoden entwickeln, mit denen sich Infektionsschutz in Innenräumen und Energieeffizienz im Sinne der Energiewende bestmöglich unter einen Hut bringen lassen. Neben Professor Raoul Zöllner von der HHN sind dabei noch zwei externe Partner an Bord.
FFP2-Maske versus OP-Maske: Um wie viel effektiver filtert erstere die Atemluft?
FFP2-Masken schützen deutlich besser. Das liegt nicht immer nur daran, dass das Filtermaterial einen besseren Abscheidegrad für Partikel hat, wie unsere Forschungsarbeiten im Rahmen des BMBF-Projekts BioPROTECT-Mask gezeigt haben. Ein Hauptunterschied ist auch die deutlich bessere Abdichtung der FFP2-Masken ans Gesicht. Hier sind deutlich geringere Leckagen möglich als bei medizinischen Masken. Das führt leider generell auch dazu, dass der sogenannte Druckverlust bei FFP2-Masken teilweise deutlich größer ist als bei medizinischen Masken und das Atmen schwerer fällt.
Mein Team-Kollege Simon Berger konnte bei seinen Experimenten am Maskenprüfstand schön zeigen, dass der häufigste Formtyp der FFP2-Maske, die „Axtform“, nicht besonders „atemfreundlich“ ist: Beim Einatmen berühren sich die beiden Maskenflächen teilweise, reduzieren so die Filterfläche und führen zu großen Druckverlusten. Deutlich besser schneiden da die sogenannte „Fischform“ oder die „Entenschnabelform“ ab, die beim Atemzyklus wenig verformt werden. Wenn man einen wichtigen Termin hat, bei dem FFP2-Pflicht herrscht, empfiehlt es sich daher eventuell, in eine „atemfreundlicherer“, ggf. teurere Fisch- oder Entenschnabelmaske zu investieren.
Prof. Dr.-Ing. Jennifer NiessnerForschungsprofessorin Telefon: +49 7131 504 308E-Mail: isaps@hs-heilbronn.de