Das Molit-Institut für personalisierte Medizin wächst weiter und lockt internationale Forscher an. Patienten aus der Region sollen langfristig von den Erkenntnissen und der praktischen Anwendung an den SLK-Kliniken profitieren.
Von Valerie Blass, Foto: Mario Berger
Der medizinische Fortschritt kommt unscheinbar daher: Seit November 2021 passieren Patienten des Klinikums am Gesundbrunnen auf dem Weg zum Haupteingang einen schlichten weißblauen Containerbau. In ihm ist das Molit-Vision-Lab untergebracht, eine Einrichtung, die die Krebsforschung und dadurch auch die Krebsbehandlung in Heilbronn auf ein neues Niveau heben soll.
Laborchef hat in Wien, New York, Rom und Heidelberg geforscht
Leiter des Labors ist Dr. Martin Jechlinger, ein gebürtiger Österreicher, der in Wien, New York, Rom und Heidelberg geforscht hat. Nun ist der Biochemiker mit vier weiteren internationalen Wissenschaftlern in Heilbronn gelandet und sagt: “Das ist ein Setting, in dem Forschung sehr gut funktionieren kann.”
Die Vernetzung zwischen Forschung, Klinik und Datenwissenschaften sei schon außergewöhnlich. Normalerweise, erzählt Jechlinger, müsse man als Krebsforscher zum Beispiel um Gewebeproben von Patienten kämpfen und Informationen mühsam zusammenklauben. In Heilbronn sei das anders, die Kooperation mit dem SLK-Mediziner-Team um den Chef-Onkologen Uwe Martens sei sehr gut und eng. Auch der Standort direkt neben dem Klinikum sei ideal: “Damit das Material im Labor wächst, ist es entscheidend, dass es so schnell und frisch wie möglich bei uns ankommt.”
Die aktuelle Forschung am Vision-Lab befasst sich in erster Linie mit Darmkrebs in unterschiedlichen Stadien. Jechlinger und sein Team definieren die Rahmenbedingungen und Ziele. Die Behandler bei SLK prüfen dann, welche Patienten sich für die Teilnahme an den jeweiligen Studien eignen. Das sogenannte Tissue-Team (zu deutsch: Gewebe-Team) entnimmt den Patienten nach sorgfältiger Aufklärung und Einwilligung Proben von Gewebe, Stuhl oder Blut und liefert diese in das Labor, wo weiter damit gearbeitet wird.
Wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer individuellen Krebsbehandlung
Die Forscher lassen das Material in kleinen Abteilen aus Plastik dreidimensional wachsen- ganz ähnlich wie das im Körper des Patienten geschieht. Nach einer gewissen Zeit werden unterschiedliche Medikamente in die Abteile, Kulturen genannt, gegeben. Die Forscher beobachten dann, wie das Tumorgewebe in der jeweiligen Kultur darauf anspricht, was besser und was schlechter wirkt. “Das ist quasi eine minimale Abbildung der Wirklichkeit”, sagt Jechlinger. Das Verfahren spiegle ganz gut wider, was auch im Menschen passiert. “Und patientenindividuell sieht das jeweils anders aus.” Deshalb sei dieses Vorgehen ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer individualisierten Krebsbehandlung.
Das langfristige Ziel von Jechlinger und seinem Team: Durch Beobachtung Tumorarten und deren Verhalten bei unterschiedlichen Patienten und in unterschiedlichen Stadien besser verstehen lernen, Gemeinsamkeiten – sogenannte Biomarker – erkennen, um dann Vorschläge für gezielte individuelle Therapien machen zu können.
“Die Kraft liegt in der Statistik”, sagt Jechlinger. Die Erkenntnisse werden in einer Datenbank gespeichert, parallel haben die Molit-Forscher mit dem Aufbau einer Biobank begonnen, in der das Probenmaterial bei etwa minus 200 Grad in flüssigem Stickstoff aufbewahrt wird. Je mehr Daten die Forscher sammeln und strukturiert auswerten, desto größer wird ihr Wissen. Deshalb ist auch die Zusammenarbeit mit anderen Laboren so wertvoll – mit dem Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie in Heidelberg (Embl) zum Beispiel, Jechlingers Station, bevor er nach Heilbronn kam. Andere Forschungslabs oder Bio-Datenbanken, mit denen Kooperationen bestehen oder angestrebt werden, sind in Europa verstreut oder sitzen in den USA.
Die Zeiträume, in denen die Forscher denken, sind lange
Die Ziele sind groß, aber die Zeiträume, in denen die Forscher denken, auch sehr lange. Dass Krebs so schwierig zu verstehen und behandeln sei, liege im Ursprung der Krankheit, erklärt der 53-Jährige. Das Auftreten sei geprägt von Zufällen, Lebensumständen, Umwelteinflüssen, Pech. “Mit der gezielten personalisierten Therapie stehen wir deshalb noch am Anfang.”
Bis 2026 soll ein neues Gebäude an der Saarlandstraße entstehen
Doch die nächsten Schritte zeichnen sich bereits am Horizont ab. Vor einem Jahr hat das geplante I3-Lab des Molit-Instituts den Zuschlag für eine Förderung über Regiowin und den europäischen EFRE-Fonds erhalten. 2026 soll das 12,5-Millionen-Euro-Projekt in einem Neubau an der Saarlandstraße fertig sein, “dann besteht die Möglichkeit umzuziehen”, sagt Uwe Martens. Die Mission lautet auch hier: Ausbau der Krebsforschung mit den Schwerpunkten Personalisierung und Datenunterstützung der Medizin. Was in der Region inzwischen alles möglich ist, elektrisiert auch den Chefarzt, der die Entwicklung maßgeblich mit geprägt hat.
Molit-Institut
Das Molit-Institut für personalisierte Medizin wurde 2016 gegründet von Professor Uwe Martens, Chefarzt Onkologie am SLK-Klinikum am Gesundbrunnen, und Professor Christian Fegeler vom Studiengang Medizinische Informatik an der Hochschule Heilbronn HHN. Gefördert wird Molit mit seinen inzwischen etwa 20 Mitarbeitern von der Dieter-Schwarz-Stiftung. Durch die Stiftung sei es möglich, “Konzepte zu denken und Forschung zu entwickeln wie an sonst kaum einem anderen Krankenhaus dieser Größe”, sagt Martens. “Es ist total faszinierend, dass solche Forschung hier an einem Versorgungskrankenhaus möglich ist.” Durch die enge Anbindung an die Klinik könne die Brücke zur Patientenversorgung geschlagen werden, so Martens. “Das ist praktischer Nutzen für die Menschen in der Region.”