Erstmals haben sich Forscherinnen und Forscher verschiedener Institutionen am Bildungscampus zusammengeschlossen, um gemeinsam an einem großen Projekt zu arbeiten: dem »H2-Innovationslabor«. Sie wollten herausfinden, wie die Region Heilbronn-Franken zu einem wichtigen Standort der Wasserstoffwirtschaft werden könnte. Es könnte als Blaupause für viele weitere Projekte dienen. Wir stellen drei der sechs beteiligten Forscherinnen und Forscher vor.
Von Joschua Kocher, Fotos: PR
Am Anfang stand die Frage der Dieter Schwarz Stiftung: Können wir am Bildungscampus bereichsübergreifend zusammenarbeiten, um die Region Heilbronn-Franken zu einem wichtigen Standort der Wasserstoffwirtschaft zu machen?
Am Ende stehen 18 konkrete Maßnahmen, die sich alle in höchstens fünf Jahren umsetzen ließen, damit Wasserstoff in die Fabriken, Speditionen und Busse kommt. Für die Region könnte das ein Weg sein, um im globalen Wettbewerb weiter mithalten zu können und vor allem, um die Energiewende vor Ort voranzutreiben.
Die Ideen entwickelten vier Institutionen mit der Kraft des Gemeinsamen: die Hochschule Heilbronn, das Ferdinand-Steinbeis-Institut, das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO sowie die TU München. Alle sind sie angesiedelt am Bildungscampus Heilbronn.
Das »H2-Innovationslabor«, so heißt der Zusammenschluss, zeigt, dass der Weg zur Klimaneutralität nur gemeinsam gelingen kann. Wir stellen drei der sechs Forscherinnen und Forscher vor, die operativ an dem Projekt beteiligt waren.
Der Organisator
Felix Zimmermann kennt sich aus mit Risiken. Er arbeitete lange Jahre in der Risikomanagementberatung, oft bei Autofirmen. Als er im April 2020 die Projektleitung für das »H2-Innovationslabor« übernahm, kam ein gewaltiges Risiko: das Coronavirus. Nicht ganz unproblematisch für ein Projekt, das davon leben sollte, gemeinsam Ideen auszutüfteln und mit anderen Forscherinnen und Forschern zu diskutieren. »Wir waren erst mal skeptisch, wie das alles funktioniert«, sagt Zimmermann heute. Die Durchführung kompletter Projekte im virtuellen Raum seien vorher nicht unbedingt auf der Tagesordnung gewesen. Doch es habe wunderbar geklappt. Sie arbeiteten viel mit digitalen Dateiablagen und trafen sich mehrmals in der Woche zum Videocall.
Felix Zimmermann war aber nicht nur Projektleiter. Er und seine Kolleginnen vom Fraunhofer IAO leiteten auch die Stakeholder-Analyse. Und da sollte es vielmehr um Chancen als um Risiken gehen. Sie wollten herausfinden, welche Unternehmen in der Region Heilbronn-Franken sich mit Wasserstoff beschäftigen und welche sich das potenziell vorstellen könnten.
Zuerst führten sie also Interviews mit »Key-Playern«, ein gutes Dutzend Akteure, von denen sie wussten, dass sie schon mit Wasserstoff arbeiten oder weit in der Region vernetzt sind. Audi in Neckarsulm war zum Beispiel dabei oder das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Lampoldshausen. Es folgten Gespräche mit weiteren Firmen und eine Netzrecherche. Es entstand eine Liste von Akteuren, die immer länger wurde. 182 potenzielle Akteure fanden sie aus den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik.
Ziel des Projekts war es aber nicht nur, Firmen zu identifizieren, die sich mit Wasserstoff auseinandersetzen möchten, sondern auch diese in ein regionales Ökosystemmodell einzubetten. Also zu zeigen, welches Unternehmen welche Rolle in einer aufeinander abgestimmten Wasserstoffwirtschaft einnehmen kann.

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INFOBOX: Wasserstoff
Wasserstoff gilt als einer der wichtigsten Energieträger der Zukunft. Denn um die Klimaziele der Bundesregierung und der Europäischen Union zu erreichen, liegt besonders viel Wert darauf, umzusteigen von fossilen Brennstoffen hin zu regenerativ erzeugten Energieträgern wie eben Wasserstoff. Im Fokus steht dabei grüner Wasserstoff, der durch die Elektrolyse von grünem Strom und Wasser erzeugt wird. Das Land Baden-Württemberg hat im Dezember 2020 eine Wasserstoff-Roadmap vorgestellt, mit der sie Erzeugung, Speicherung und Verteilung von Wasserstoff vorantreiben will. Es könnten 16.000 neue Arbeitsplätze bis 2030 im Land entstehen.
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Der Modellierer
Daniel Werth weiß wie Unternehmen ticken und er weiß wie Wissenschaftler ticken. Vor seiner Zeit als »Senior Researcher« am Ferdinand-Steinbeis-Institut war er Mehrfachgründer und geschäftsführender Gesellschafter mittelständischer Unternehmen.
Im »H2-Innovationslabor« sollte er sein Wissen als Unternehmer nutzen, um einen theoretischen Überbau zu schaffen für ein Wasserstoffökosystem in der Region Heilbronn-Franken.
Eine hochkomplexe Arbeit. Denn damit sich Wasserstoff flächendeckend als Energieträger durchsetzen kann, braucht es nicht alleine Produzenten und Abnehmer. Es braucht Speichertechnologien und Armaturen, es braucht Gasfirmen und Logistiker und es bedarf einer breiten gesellschaftlichen Akzeptanz mit zahlreichen Anwendungsbereichen, um von konventioneller Energie auf alternative Energiequellen umzusteigen. Und vieles mehr. »Jeder kann etwas, aber keiner kann alles«, sagt Daniel Werth.
Er fragte sich: Wer kann wen mit was unterstützen? Wer liefert, wer verbraucht, wer stellt her und wo steht die Region Heilbronn-Franken im nationalen Vergleich? Er wollte jeden Bereich aufzeigen, der potenziell mit Wasserstoff arbeiten könnte. Nach und nach entstand ein sogenanntes Ökosystemmodell. Es sieht aus wie ein Schaltkreis. Dutzende Linien kreuzen sich zwischen den verschiedenen Firmentypen. In enger Zusammenarbeit der TU München konnten darüber hinaus über 20 Rollen identifiziert werden und deren Leistungsbeziehungen dargestellt werden. Es gibt darin Hersteller von Wasserstoff, Landwirte, Berater, Lieferanten, Betanker.

Die Macherin
Alexandra Wolf ist es gewohnt, mit den verschiedensten Menschen zusammenzuarbeiten. Sie hat jahrelang in Speditionen gearbeitet und ist erst seit vergangenem Jahr Teil des Kompetenzzentrums LOGWERT an der Hochschule Heilbronn.
Ihre Aufgabe im Projekt war es unter anderem, die Wechselbeziehungen zwischen den verschiedenen Firmen konkret zu formulieren. Interdependenzanalyse nennt man das. Ein Spediteur zum Beispiel braucht die Technologie, den Nutzfahrzeughändler, die Tankstelle und er braucht Wartungsleistungen. Für jede Unternehmergruppe zeichnete sie nach, mit wem sie in Austausch stehen könnte.
Auch war Alexandra Wolf mit dafür verantwortlich, die Stärken und Schwächen der Region zu entdecken. Positiv hebt sie den starken Mittelstand hervor, der gerade im produzierenden Gewerbe sehr breit aufgestellt ist. Es gebe zudem schon Kompetenzen in der Wasserstoffwirtschaft. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt zum Beispiel ist einer der größten Verbraucher von Wasserstoff europaweit und bietet Möglichkeiten für Unternehmen zur Erprobung von H2-Technologien. Den Bildungssektor sieht sie ebenfalls breit aufgestellt und erkennt die Möglichkeit, dort weitere Kompetenzen aufzubauen.
Was allerdings noch fehlt sei ein ausgebautes Betankungsnetzwerk und Erprobungsmöglichkeiten für Wasserstoff. Die Kapazitäten zur grünen Energieversorgung seien außerdem regional begrenzt. Die Möglichkeiten zum Wasserstofftransport sind kapazitiv begrenzt.
Die größte Schwierigkeit für die Region Heilbronn-Franken, aber auch für alle anderen Regionen, sei die Tatsache, dass eine Wasserstoffwirtschaft noch nicht wirtschaftlich ist. Dies könne in der Region allerdings durch entsprechende Fördergelder erst mal überbrückt werden, sagt Wolf.

Das Fazit
Der Abschlussbericht des »H2-Innovationslabors« zeigt eine ganze Reihe von Maßnahmen, die umgesetzt werden könnten, um Heilbronn zur Wasserstoffregion zu machen. Quick-Wins wären zum Beispiel der Aufbau einer Wasserstoff-Organisationseinheit und digitalen Wasserstoff-Plattform sowie Maßnahmen zur Information und Qualifizierung, z. B. in Form eines Schulungszentrums. Es könnte eine PR-Kampagne gestartet werden und eine Tankstelle für Nutzfahrzeuge aufgebaut werden. Ebenso Kapazitäten zur Erzeugung von grünem H2 .
Später könnte der Anschluss an die sogenannte SuedLink-Verbindung hergestellt werden, um mehr grünen Strom zu beziehen, und an eine Wasserstoff-Pipeline. Der Heilbronner Hafen könnte in die Verteilung und den Umschlag von Wasserstoff einbezogen werden und Wasserstoff-Busse in den Straßenverkehr kommen.
Heilbronn habe, sagt Projektleiter Zimmermann, verschiedene Möglichkeiten, sich an einer Wasserstoffwirtschaft zu beteiligen: Einerseits könnten Teile der Wertschöpfung mit Wasserstoff – von der Erzeugung über den Transport bis zum Verbrauch in der Region stattfinden. Andererseits bieten zahlreiche Unternehmen auch die Chance, zukünftig andere Regionen mit wichtigen Technologien für die Wasserstoffwirtschaft zu versorgen. So kann eine globale Wasserstoffwirtschaft auch zu einem Wettbewerbsvorteil für die Region werden. Das Team hat sich jedenfalls sechs Anwendungsfälle für Wasserstoff ausgeguckt, von denen sie denken, dass sie zukunftsträchtig sind. Sie stammen aus den Bereichen Transport, Logistik, ÖPNV, Industrie und Gebäude. Konkreter darf Felix Zimmermann noch nicht werden. Er will aber vor allem eines: Sichtbarkeit generieren, für Unternehmen, für die Menschen aus der Region. »Wasserstoff ist eine sichere, erprobte Technologie und kein Teufelszeug. Es könnte die Zukunft sein.«
Mit der interdisziplinären Zusammenarbeit waren alle Beteiligten zufrieden. Der Modellierer Daniel Werth sagt: »Die Kombination verschiedener Forschungsbereiche war toll für die Institutionen aber auch den Bildungscampus. Das kann als Blaupause für viele andere Projekte verwendet werden — aus der Region und für die Region.«
Für die Fortsetzung des Projekts wird auch die DHBW Heilbronn mit einbezogen werden. Es sollen weitere Aktivitäten folgen, die die Region Heilbronn-Franken in den nächsten Jahren bei der Entwicklung zu einer echten Wasserstoffregion unterstützen.