In einer geteilten Arbeitswelt hat Innovation unterschiedliche Bedeutungen

Das Zukunftsforum des Fraunhofer-Instituts auf dem Heilbronner Bildungscampus zeigt, dass der Handlungsdruck wächst. Top-Manager und Gewerkschafter Jörg Hofmann sind nicht immer einer Meinung.

Von Christian Gleichauf Foto: Christian Gleichauf

Die neue Arbeitswelt ist seit Corona teilweise schon Realität, doch ist sie in der Breite wirklich schon angekommen? Ein hochkarätig besetztes Zukunftsforum auf dem Bildungscampus drehte sich am Donnerstag und Freitag unter anderem um diese Frage. Das Fraunhofer IAO aus Stuttgart hatte dazu Vertreter aus den Vorstandsetagen großer deutscher Konzerne wie aus dem Mittelstand, aus Politik und Gewerkschaft aufs Podium geholt.

Alle sollen mitziehen

Der Fachkräftemangel wird immer offensichtlicher, die vier Ds bestimmen derzeit die Diskussion: Dekarbonisierung, Dezentralisierung, Demokratisierung und Digitalisierung. Der Druck zu handeln wird angesichts der weltpolitischen Lage immer größer – “Zeitenwende” ist die Veranstaltung also überschrieben.

“Aber wie kriegen wir es hin, jetzt einen Startschuss zu setzen?”, fragt Judith Wiese, Arbeitsvorstand bei der Siemens AG. Denn ohne die breite Unterstützung der Belegschaft geht es nicht, macht sie klar.

Das sieht Katharina Hölzle ähnlich. “Innovation ist nur mit den Menschen möglich”, betont die Professorin und Institutsleiterin vom Fraunhofer IAO. Sie zu gewinnen für Weiterbildung, für Veränderung, das ist kein Selbstläufer.

“Elon Musk legt einen Finger in die Wunde”

Birgit Bohle von der Deutschen Telekom führt dazu Elon Musk an, der kürzlich dem Homeoffice bei Tesla eine Absage erteilt hatte. “Ich teile seine Sicht nicht, aber er legt einen Finger in die Wunde, wenn er sagt, dass Innovationen nicht im Homeoffice entstehen”, sagt die Arbeitsdirektorin.

So gelte es, genau hinzuschauen, für wen sich das Homeoffice eigne. Ein Programmierer könne womöglich auch mehr als drei Tage von zu Hause aus arbeiten, heißt es da. Andere bräuchten den Austausch.

Widerspruch vom IG-Metall-Chef

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann warnte davor, zu sehr an den Details und der Ausgestaltung des Homeoffice hängen zu bleiben. “Wenn wir hier davon sprechen, dass wir einen disruptiven Moment der Zerstörung brauchen, bei dem alle mitmachen, dann muss ich sagen: Da glaube ich nicht dran.”

Für 60 Prozent der Beschäftigten sei ein Homeoffice gar nicht möglich, ebenso wenig ein selbstbestimmtes, flexibles Arbeiten. Viele Arbeitsplätze seien ohne wirklichen Handlungsspielraum. “Lassen Sie da keinen Elitendiskurs aufkommen”, warnte Hofmann und plädierte dafür, auch in der Produktion eine “lernförderliche” Arbeitsumgebung” zu gestalten, und endlich Ideen umzusetzen, die es schon seit 20 Jahren gebe.

Es zeigt sich damit, dass die Digitalisierung die Arbeitswelt nicht gleichmäßig durchdringt. Darüber spricht auch der Chef der Schwarz-Gruppe, Gerd Chrzanowski, bei der sogenannten Dinner Speech am Donnerstagabend. Bei vielen Vorträgen geht es um das agile Arbeiten, das mit schnellen “Sprints” zu neuen Ufern gelangen soll.

Diversität ist kein Selbstzweck

Es geht um Diversität – und zwar nicht um ihrer selbst Willen. “Wir brauchen ein Umfeld von psychischer Sicherheit und Angstfreiheit, jeder muss sich als ganzer Mensch angenommen fühlen”, erklärt Telekom-Vorständin Bohle.

Dazu braucht es neues Lernen. Weg von den großen Weiterbildungen und formalen Abschlüssen, hin zu Mikroqualifikationen in kleinen Einheiten. Dafür müssten Unternehmen den Spielraum schaffen, trotz einer langfristigen Planung, die noch immer notwendig ist. “Das muss in den Budgets berücksichtigt werden”, sagt Bohle und bekommt Zuspruch auch von Gewerkschafter Hofmann: “Ideen sollten nie an Budgets scheitern.”

Von Stuttgart nach Heilbronn gezogen

Seit mehr als zehn Jahren veranstaltet das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) das Zukunftsforum. Bis vor drei Jahren fand es jährlich in Stuttgart statt, dann während der Pandemie nur noch virtuell. In diesem Jahr zog die Veranstaltung auf den Heilbronner Bildungscampus. Mehr als 800 Personalverantwortliche und andere Unternehmensvertreter, Studenten und Wissenschaftler nahmen teil – der Großteil online. Vor allem in den Workshops sei es aber wichtig, sich persönlich austauschen zu können, erklärte Institutsleiterin Katharina Hölzle.

Das “neue Arbeiten” sei überall präsent, sagt Organisator Stefan Rief vom Fraunhofer IAO. Es sei zu spüren, dass es derzeit durch viele andere Themen überlagert werde. Spätestens im Herbst könnte das Homeoffice und alles, was damit verbunden ist, aber wieder in den Vordergrund treten.

Mit freundlicher  Genehmigung der Stimme Mediengruppe & der Heilronner Stimme