Eine Art verkörpertes Internet will Facebook-Gründer und CEO Mark Zuckerberg schaffen. Manche werden bei dieser Vorstellung vorfreudig, andere gruseln sich. Professor Jens Förderer von der TUM Heilbronn beleuchtet die Chancen und Gefahren eines Metaversums.
Von Annika Heffter (Heilbronner Stimme), Fotos: PR & Privat
Man stelle sich eine Frau vor, in nicht allzu ferner Zukunft. Ihr Name ist Luisa. Luisa sitzt auf ihrer Couch in Heilbronn und ist gleichzeitig in einer virtuellen Welt unterwegs. Ihr virtueller Körper, also ihr Avatar, läuft durch die Straßen einer Großstadt, geht in einen Laden und kauft virtuelle Kleidung. Echte Städteplaner und Architekten haben diese Straßen und Gebäude geschaffen, echte Modedesigner haben die Kleider für Luisas Avatar entworfen. Aber wirklich echt ist davon nichts.
Die Welt, die Luisa da durch eine VR-Brille (VR: virtuelle Realität) erlebt, das »Metaverse« (dt.: Metaversum), wie Facebook es in Anlehnung an einen Science-Fiction-Roman nennt, ist eine Art weiterentwickeltes Internet. Nur sieht man es nicht mehr zweidimensional – als Webseite oder App am Laptop oder Handy – sondern steckt mittendrin.
Vernetzung von Menschen als Hauptgedanke des Metaversums
Mit dem Metaversum-Projekt will Facebook-Gründer und CEO Mark Zuckerberg nach eigenen Angaben »eine Art verkörpertes Internet« schaffen. Passend dazu hat sich der Dachkonzern von Facebook nun in Meta umbenannt.
Professor Jens Förderer von der Technischen Universität München (TUM) am Campus Heilbronn hat sich zusammen mit der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Michaela Lindenmayr mit den Chancen und Gefahren des verkörperten Internets auseinandergesetzt.
Die Idee von Meta, sagt Förderer, basiere hauptsächlich auf Vernetzung: »Man kann ganz abtauchen, privat und beruflich, und echtes Leben abbilden.« Wie jetzt auch könne man so mit jedem auf der Welt kommunizieren, nur »intensiver«.
Vorteile für das Erreichen der Klimaziele?
Für die persönliche Wertschöpfung könne das eine große Chance sein. Zum Beispiel, wenn man »mit dem Avatar Bangkok erkundet, ohne wirklich dort zu sein«. Für das Klima, ergänzt Lindenmayr, könne es ebenfalls vorteilhaft sein, wenn man weniger fliegen oder beruflich reisen muss und trotzdem ein realitätsnahes Erlebnis habe. »Die räumliche Distanz ist dann nicht mehr relevant«, sagt sie.
Zudem könne man sich eine völlig neue Identität aufbauen. Luisas Avatar kann nicht nur so aussehen wie sie es gern hätte, sondern auch Hobbys oder berufliche Wünsche ausleben, die im echten Leben vielleicht unerreichbar scheinen. Wirtschaftlich, sagt Förderer, ergebe sich durch die umfangreiche Datengrundlage ebenfalls Potenzial, zum Beispiel für Werbetreibende.
Entscheidungen nicht immer im Sinne des Nutzers
Risiken, Herausforderungen und Gefahren gibt es aber auch eine Menge: »In der aktuellen Diskussion wird viel darüber gesprochen, ob und wann das alles technisch möglich sein wird. Aber die wichtige Frage ist doch eigentlich: Wollen wir so ein Vorhaben in die Hand von einem großen amerikanischen Hightech-Unternehmen geben, das damit Profite generiert?« Nicht nur einmal wirft Jens Förderer die Worte »Big Brother« in den Raum.
Noch unterscheiden sich die Datenschutzgrundsätze der US-Amerikaner von den europäischen deutlich. Wenn große Unternehmen die Schöpfer der virtuellen Welt seien, würden sie auch »Entscheidungen treffen, die vielleicht nicht im Sinne der Nutzer, sondern eher im Sinne des Profits sind«, gibt Förderer zu bedenken.
Wirklichkeit und virtuelle Realität wachsen zusammen
Wie bei einem Computerspiel sei die nächste Gefahr ein gewisses Suchtpotenzial: »Die Abgrenzung zwischen real und nicht real verschwimmt«, sagt Förderer.
Wer immer mehr Zeit in der virtuellen Welt verbringt, laufe zudem Gefahr, gesundheitliche Probleme zu bekommen, weil man sich weniger bewegt, oder »sozial zu verarmen«, weil etwa physische Kontakte in der echten Welt mehr und mehr fehlen.
Hassrede, Fake News und Spaltung bleiben Probleme
Gesellschaftlich sind die Risiken vielfältig. Die Probleme, mit denen Facebook im Moment konfrontiert wird – Hassrede, Falschnachrichten und gesellschaftliche Spaltung – könnten sich nach der Einschätzung des TUM-Professors im verkörperten Internet noch verschärfen.
Zum Beispiel beim Thema Meinungsfreiheit: »Was ist erlaubt und was nicht, und wer bestimmt das?«, nennt der Plattform- und Datenökonom eine offene Frage, die sich auch heute schon stellt.
Weitere Informations- und soziale Blasen, wie sie auch jetzt schon existieren, könnten ebenfalls verstärkt werden. Michaela Lindenmayr ergänzt, dass Menschen ohne Zugang zum Metaversum ausgegrenzt werden könnten. Es müsse geregelt werden, nach welchen Kriterien die Aufnahme oder der Ausschluss von der virtuellen Welt geschieht.
Nicht erst im Nachhinein regulieren, sondern gleich mitreden
Professor Jens Förderer betont, es sei an der Zeit, dass auch der Staat sich nicht von technischen Entwicklungen überraschen lasse, sondern von Anfang an mitrede. »Genauso wie bei echten Parks oder Straßen müssen wir die virtuelle Infrastruktur mit aufbauen«, sagt er.
»Wir müssen überlegen, wie eine gemeinsame europäische Plattform aussehen könnte, die auch unsere Werte abbildet, zum Beispiel, was den Datenschutz angeht.« Es könne etwa eine Art Datentreuhänder geben, der die Daten selbst nicht im Gesamten sehen kann, aber die Zugriffsrechte darauf verwaltet.
Digitale Souveränität
Als Teil einer Expertengruppe hat Förderer an einer Veröffentlichung zur digitalen Souveränität Europas mitgewirkt. Darin geht es unter anderem um die Rolle des Staates im Digitalen.
So könne Europa zum Beispiel ein digitales Ökosystem aufbauen, in dem es Gestaltungshoheit hat und eigene Werte einbringen kann. Die Digitalisierung, heißt es in der Publikation, durchdringe immer mehr Lebensbereiche, weshalb es Handlungsbedarf auch von öffentlicher Seite gebe.
Mehrere Metaversen mit unterschiedlichen Regeln könnten koexistieren
Europa habe es »verschlafen, die Internetriesen an die Hand zu nehmen und festzulegen, was geht und was nicht«. Dabei sei der europäische Markt ein gewichtiger. So hätten die Europäer auch einen »Hebel, um Mitspracherechte zu bekommen«.
Die Möglichkeit, dass es dann verschiedene Metaversen auf der Welt geben könnte, in denen unterschiedliche Regeln je nach politischen und ethischen Vorstellungen gelten, schließt Förderer nicht aus.
Dass das Internet sich weiterentwickeln wird, hält er für unvermeidbar. Umso wichtiger sei es, das Feld nicht komplett den großen Tech-Unternehmen zu überlassen: »Jetzt haben wir noch die Chance mitzugestalten.« Nicht nur als Staat, sondern auch als potenzielle künftige Luisas.

»Wir müssen die virtuelle Infrastruktur mit aufbauen, damit sie auch unsere Werte abbildet«, sagt TUM-Professor Jens Förderer.