Ein Jahr ist die 42 Heilbronn inzwischen am Start. Wir sprachen mit Geschäftsführer Thomas Bornheim über die vergangenen 365 Tage und wie es weitergehen soll mit der 42 in Heilbronn und mit der Neckarstadt an sich u. v. m.
Interview: Robert Mucha; Fotos: Nico Kurth
wissensstadt.hn: Die 42 Heilbronn ist nun ein Jahr am Start. Wie ist dein Resümee? In welchen Bereichen habt ihr noch am meisten Luft nach oben? Und was lief gut und sogar besser als erwartet?
Thomas Bornheim: Das Wichtigste ist, dass nun über 200 Studierende da sind. Das ist wirklich ein richtiger Erfolg für uns. In unseren Piscines haben wir es mittlerweile geschafft, über 900 Menschen unser Lernerlebnis, das finde ich beeindruckend. Wir haben viele Studierende, die sehr schnell vorankommen. Das zeigen Vergleichswerte zu anderen Schulen aus der 42-Familie. Wir können wirklich sagen, dass wir bei den Top-Schulen dabei sind.
wissensstadt.hn: Jetzt geht es für die Schüler*innen in die Partnerunternehmen rein für Praktika …
Thomas Bornheim: Wir haben sehr viele Fortschritte gemacht mit unseren Praktikum-Programmen, mit über 100 Unternehmen gesprochen, die von sich aus gekommen sind und Interesse hatten, mit uns zusammen zu kollaborieren. Audi hat z. B. fast eine Million Euro für die 42 in Deutschland investiert und 75 % davon sind für uns in Heilbronn. Das war wirklich ein Hammer Signal dafür, dass wir auch von Entscheider*innen wahrgenommen werden. Und wir haben uns hierzu die Frage gestellt, wie wir es schaffen, dass unsere Schüler*innen absolut von diesem Sprung und dieser Sprungschanze ins Praktikum und auch in die Karriere begeistert sind und wie wir unterstützen können. Es liefen u. a. Workshops, in denen unsere Studierenden lernen konnten, wie sie Bewerbungen schreiben oder auch, wie sie bei Job-Interviews auftreten können.
wissensstadt.hn: Und wann kommen die nächsten »Frischlinge« dazu?
Thomas Bornheim: Im Oktober 2022 und wir würden uns fürs gesamte Jahr über einen Zulauf von noch mal etwa 80 Studierenden sehr freuen.

wissensstadt.hn: Man hört und liest immer, dass die 42 eine Coding-Schule ist, und das seid ihr zweifelsohne. Aber was programmiert man in euren Challenges konkret? Eher Onlineshops, Games, KI-basierte Algorithmen oder Apps?
Thomas Bornheim: Die Aufgaben sind praxisorientiert, das heißt, sie werden immer so gestellt, dass es große Aufgaben sind, die gelöst werden können. Es sind aber generische Aufgaben und sind so konzipiert, dass man anhand der Aufgaben stufenweise das Programmieren lernt. Die Aufgaben haben alle einen didaktischen Fokus und werden Schritt für Schritt durchgegangen. Als Beispiel: Zunächst einmal wird gelernt, wie man mit Speicher umgeht, danach lernt man, wie man Subroutinen schreibt. Weiter lernt man, wie man Daten richtig einsetzt, Applikationen baut und so weiter. Ziel ist, dass 42-Absolventen nach diesem Grundstudium bei uns, egal in welchen Bereich sie gehen, Grundkenntnisse haben. Sie sollen nicht nur theoretisches Wissen haben, sondern es auch schon mal gemacht haben. Und ob dann ein potenzieller Arbeitgeber sagt, ›bei uns programmiert man in Java oder in Python‹ ist dann relativ egal. Das ist auch das paradoxe Denken in unserem Ausbildungssystem, dass es nicht darum geht, was man weiß, sondern dass man schnell lernen kann.
wissensstadt.hn: Wie ist das Feedback der Studierenden?
Thomas Bornheim: Wir wir haben ein durchweg positives Feedback von unseren Studierenden unserem pädagogischen Modell gegenüber. Es beinhaltet, dass die Leute sehr selbstorganisiert sind, dass sie sich in der Gruppe Dinge beibringen. Es ist ganz wichtig, dass sie in diesem Prozess Hilfe voneinander bekommen. Auch das ist eingebracht in unser System. Wir können im Vergleich mit anderen 42-Standorten sagen, dass es bei uns gut vorangeht. Es ist aber immer so, dass es Leute gibt, für die funktioniert es perfekt – wir haben einige Studierende, die dieses Grundstudium innerhalb von nur acht Monaten abschließen, das sind so ziemlich die schnellsten Studierenden, die man haben kann, auch weltweit gesehen, – aber wir haben auch Studierende, wo es ein bisschen länger dauert und auch denen bieten wir über das 42-Netzwerk Hilfe und Helfer*innen.
wissensstadt.hn: Wie fühlt sich das täglich an, rein zu laufen in die 42? Wie ist der Spirit unter den Studierenden? Du hast ja angedeutet, dass sie zusammenarbeiten müssen, um voranzukommen in der Schule. Und dazu braucht es Teamgeist. Hat er sich entwickelt?
Thomas Bornheim: Es ist ein bisschen so, wie im Fußballstadion der Heimatstadt anzukommen. Unseren Studierenden geht es nicht nur um den eigenen Fortschritt, das Lernen oder einen neuen Skill zu haben und viel Geld zu verdienen. Sie haben auch ein Interesse, etwas für die Gemeinschaft zu tun. Und das ist ein so besonderes Gefühl! Was sich daraus ergibt, ist mehr als eine Zweckgemeinschaft. Wie sie sich einbringen und auch nicht bei allem einig sind, wie gestritten wird und versucht wird, gemeinsam weiterzukommen und eine Lösung zu finden, ist schön zu erleben. Und dann gibt es noch diese Micro-Erlebnisse, die besonders wichtig sind, die mich immer wieder aufleben lassen. Das ist z. B. immer, wenn zwei Leute am Computer sitzen und jemand zeigt auf etwas auf dem Bildschirm. Da passiert Wissenstransfer und gleichzeitig ist es nicht ein abstraktes Geschwafel, sondern reale Computerprogramme. Da wird drauf gezeigt und gesagt: »Das musst du anders machen.« Es ist dieses Handwerkliche im Code, diese Arbeit, die aber auch faktisch und wirklich wird. Das ist das, was mich beim Coding fasziniert und auch bei all dem, was damit möglich ist: anderen Menschen zu helfen, Lösungen zu bauen, die man auch in anderen Ländern, die man in anderen Gruppen anwenden kann. Das, was dahinter steckt, auch in der Philosophie von Code, ist das, was man täglich hier erleben kann. Und das ist echt cool.

wissensstadt.hn: Trotz den erschwerten Corona-Bedingungen: Haben eure Studis Heilbronn schon etwas kennenlernen und erleben können? Wie ist das Feedback?
Thomas Bornheim: Ja, ich habe lustiges Feedback bekommen. Es wurde moniert, dass die Death-Metal-Community hier in Heilbronn ja ziemlich klein sei. (lacht) Wir müssen uns einfach darüber im Klaren sein, dass wir auch Leute bei uns haben, die solche Nischeninteressen haben, die für Subkulturen sehr offen sind. Ich glaube, das sind auch die Leute, die in größeren Städten dann eben genau solche Szenen oder Communitys ausmachen. Wir müssen dem hier in Heilbronn einfach begegnen, indem wir diese Subkulturen ein bisschen durchlässiger machen und sie zusammenbringen. Damit sich gleichgesinnte Menschen, die sich ausdrücken möchten, die Chancen geben, sich in Heilbronn auch wohlzufühlen. Es gibt hier genügend Angebote und ich bin mir ganz sicher, dass wir hier weitere tolle Angebote schaffen können für Menschen, die auch das andere suchen, die Studentenleben wollen und die auch ein bisschen was erleben wollen in dieser Zeit.
wissensstadt.hn: Im neusten Städteranking der WirtschaftsWoche schneidet Heilbronn erneut besser ab als im Vorjahr, überregional wurde mehrfach über Heilbronn und was hier am Entstehen ist (Bildungscampus, KI-Park, etc. pp.) berichtet. Läuft hier oder?
Thomas Bornheim: Ich glaube, wir haben die Voraussetzungen hier in Heilbronn, um auch auf Platz eins dieses Rennens zu kommen. Wir müssen uns im Klaren darüber sein, was wir erreichen möchten und wir müssen daraus Maßnahmen ableiten, um wirklich zu sehen: So schaffen wir es. Wichtig ist es für Menschen, die sich entwickeln möchten, – darum geht es doch vielen –, dass sie einen Raum bekommen, wo sie viel selber mitmachen können, wo sie mitgestalten können, wo auch Mittel zur Verfügung stehen, um neue Ideen auszuprobieren, wo gleichzeitig auch eine Wertschätzung da ist für diese Experimente. Und das alles erlebe ich in Heilbronn. Es gibt hier aber auch harte soziale Realitäten. Wie kann man da Schwellen reduzieren? Wie können wir die Sachen einfacher machen, von uns aus? Weil es wichtig ist, aber das erfordert Koordination.
wissensstadt.hn: In der Heilbronner Stimme konnte man lesen, dass Du sich durchaus auch um die Stadtentwicklung bemühen willst. Warum eigentlich?
Thomas Bornheim: Als jede Art von Organisation musst du dich um die Community kümmern, in der du bist, musst wertschätzen, dass du da nicht alleine bist, sondern da sind Menschen, die dir helfen, die alle in den Schulen der Umgebung ihr Handwerkszeug mitbekommen haben, ihre Ausbildung, die alle in den Krankenhäusern der Umgebung geboren worden sind. Dieser Respekt für die Community verpflichtet auch. Nach dem Motto: Ich habe hier die Chance, mit der Community zu arbeiten. Wir haben hier die Chance, der Community zuzuhören. Es ist nicht unsere Aufgabe, hier gesellschaftliche und soziale Funktionen komplett zu übernehmen, aber ich glaube, dass jede Organisation Organe ausbilden sollte, die sich fragen: Was kann ich für die Community tun?

wissensstadt.hn: Wenn Du freie Wahl hättest und freie Hand: Was wäre das Stadtentwicklungsprojekt deiner Wahl?
Thomas Bornheim: Auf der einen Seite würde ich mich freuen, wenn wir die Achse 42-Bildungscampus-Maschinenfabrik beleben, das Thema Fahrradwege wäre mir wichtig und ich finde das Wollhaus spannend, da muss was passieren.
wissensstadt.hn: Aber nicht abreißen …
Thomas Bornheim: Vielleicht auch abreißen und neu denken. Es ist ein trauriges Bild, das so ein riesengroßes Raumschiff verfällt, es ist eine Art langsames Sterben. Das finde ich wirklich anstrengend anzuschauen. Das drückt aus, dass es Menschen gibt, denen das irgendwie gehört, die aber gar nicht mehr so richtig zusammenfinden. Als soziale Metapher ist es wichtig, dass dieses Ding etwas mehr Liebe erfährt.