Die Studierenden lernen von den Besten

Interview mit Prof. Dr. Martina Boehm, Studiengangleiterin Wein – Technologie – Management an der DHBW Heilbronn

Interview: Robert Mucha, Fotos: DHBW Heilbronn

Prof. Dr. Martina Boehm, Studiengangleiterin Wein – Technologie – Management an der DHBW Heilbronn, beantwortete ergänzend zum Doppelporträt »Die Weinkönigin und die Professorin« unsere Fragen zu ihrem Studiengang.

wissensstadt.hn: Frau Prof. Boehm, Sie waren, ehe Sie zum Wein gefunden haben und an der DHBW Heilbronn den Studiengang Wein – Technologie – Management (WTM) aufgebaut haben Sie für namhafte (inter)nationale Getränkekonzerne und -marken wie z. B. Heineken, Veltins oder Bionade gearbeitet. Wie kamen Sie zum Wein und an die Hochschule? Zwei Herzensthemen?

Prof. Dr. Martina Boehm: Märkte, Kunden und Konsumenten zu verstehen und zu entwickeln, Marken auch international zu positionieren, waren über 20 Jahre mein beruflicher Dreh- und Angelpunkt. Als gebürtige Saarländerin bin ich in und mit der elterlichen Gastronomie aufgewachsen. Sich Zeit zu nehmen für nachhaltige Konsum- und Genussmomente, diese Kultur des geteilten Tischs auch zu pflegen, sind mir besonders wichtig. Deutsche verbinden dieses Gefühl gerne mit dem Begriff des Savoir Vivre. Als Familienprojekt bewirtschaften wir einen kleinen Wingert im Elsass. Ich bin also nicht zum Wein gekommen, dieser hat schon immer dazu gehört.
Ein Herzensthema ist es, diese Erfahrung und das Wissen weiterzugeben. Der Brückenschlag zwischen Kultur, Genuss und verantwortungsvollem Konsum ist mir in der Lehre, im Diskurs mit Studierenden und Dualen Partnern wichtig. Im Alltagsleben der Verbraucher ist Konsum längst im Spannungsfeld aus Wirtschaftlichkeit, Convenience und Nachhaltigkeit angekommen. Ohne Sozialromantik und Verzichtsdogmatismus, Konsum impliziert Verantwortung – sozial, ökologisch und ökonomisch. Diese fordern Kunden, Konsumenten und Mitarbeiter von Produzenten und Absatzmittlern ein. Meine Zeit bei Scottish & Newcastle (heute Heineken) und BIONADE haben mich dabei ganz besonders geprägt. Gerne erarbeite ich mit Studierenden bzw. Dualen Partnern Antworten auf Fragen zu Wertschöpfungswegen- und -prozessen, Ressourcen, deren Herkunft und Verknappung, zu Marken-, Gebinde-, Verpackungs- und Logistikkonzepten. Die Erfahrungen und den Blickwinkel aus anderen, durchaus vergleichbaren Warengruppen mit einzubringen, empfinde ich als große Bereicherung. Eines beherrschen internationale Player der Getränkebranche ganz sicher, nicht nur eine Vielzahl an Produkten herzustellen, sondern auch Unternehmens- und Markenführung.

wissensstadt.hn: Wieso haben Sie den interdisziplinär ausgerichteten WTM-Studiengang entwickelt und was macht den Studiengang aus ihrer Sicht relevant und vielleicht sogar einzigartig?

Prof. Dr. Martina Boehm: Die Entwicklung des Studiengangs ist den Bedarfen der Weinbranche geschuldet und auch dem Willen ein hervorragendes, ganzheitliches Studienangebot in einem der größten Weinbauregionen Deutschlands anzubieten.
Der interdisziplinäre Charakter macht den Studiengang nicht nur in Deutschland einzigartig, da sowohl naturwissenschaftlich-technologische als auch betriebswirtschaftliche Inhalte miteinander verbunden werden. Die Studierenden lernen alle Prozesse entlang der Wertschöpfungskette Wein kennen – von der Rebe bis ins Glas. Daher freut es uns, dass wir jedes Jahr auch Studienanfänger aus dem Ausland mit in den Kursen begrüßen dürfen.
Ein besonderes Augenmerk liegt auf den Themen, mit denen sich die Weinbranche intensiv auseinandersetzen muss, um erfolgreich bestehen zu können: Unternehmertum, Nachhaltigkeit und Internationalisierung. Dies erfordert klare und aussagekräftige Markenkonzepte. Die Märkte sind gesättigt. Der hohe Verdrängungs- und Preisdruck macht es erforderlich, nicht nur einen hervorragenden Wein herzustellen, sondern auch die Gesetzmäßigkeiten der nachhaltigen Unternehmensführung und Vermarktung zu beherrschen.

wissensstadt.hn: Wie ist der Studiengang aufgebaut und warum haben Sie diese Struktur gewählt?

Prof. Dr. Martina Boehm: Das Ziel ist die enge Verzahnung zwischen Theorie und Praxis. Dies ist insbesondere für einen grünen Beruf von grundlegender Bedeutung. Als Dualer Studiengang ist WTM modular aufgebaut. Es geht direkt in die Praxis, die Studierenden starten mit der ersten Praxisphase bei ihrem Dualen Partner. Nach drei Monaten folgt die erste Theoriephase. Das Studium umfasst insgesamt sechs Praxis- und sechs Theoriephasen.
Im Grundstudium werden Basiskenntnisse in Weinbau, Technologie und Management vermittelt, – im Hauptstudium spezialisieren sich die Studierenden auf bestimmte Schwerpunktfächer und schreiben ihre Bachelor-Arbeit. In diesem Entstehungsprozess werden Studierende wie Duale Partner intensiv betreut. Gemeinsam mit den Studierenden und zukünftigen Nachwuchsführungskräften der Wein- und Getränkebranche entstehen praxisnahe Konzepte, Analysen mit konkreten Handlungsempfehlungen, thematische Bearbeitungen, in denen viel Leidenschaft und Expertise steckt. Das Studium schließt mit dem akademischen Grad »Bachelor of Science« ab.
Das Curriculum ist sehr abwechslungsreich: Die Studieninhalte reichen über Innovations- und Produktentwicklung, Weinmarketing, Nachhaltigen Produktions- und Managementprozessen, dem An- und Ausbau von Wein, Mikrobiologie und Weinchemie bis hin zu Önologie, Sensorik, Terroir und Getränketechnologie.

wissensstadt.hn: Wie wichtig war es ihnen, für den naturwissenschaftlich-önologischen Teil des Studiums die Staatliche Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau (LVWO) in Weinsberg gewinnen zu können?

Prof. Dr. Martina Boehm: Die LVWO als Kooperationspartner mit an Bord zu haben, war für die DHBW der ausschlaggebende Punkt in der Entwicklung des Studiengangs. Ein vergleichbares interdisziplinäres Konzept kann nur gemeinsam entwickelt und getragen werden. Warum?
Die Studierenden lernen in einem Zwei-Campus-Modell von den Besten: Die DHBW ist Erfinder des Dualen Studienmodells und verfügt über eine große Expertise in der Lebensmittelbranche und zu allen Prozessen des nachhaltigen Wirtschaftens. Die LVWO Weinsberg bildet seit 150 Jahren Fach- und Führungskräfte für die Weinbranche aus und besitzt eine hervorragende technische Ausstattung. Die Kolleginnen und Kollegen der LVWO tragen mit großem fachlichem Background die naturwissenschaftlichen Lehrschwerpunkte. Ganze Generationen an Winzern und Weintechnologen denken gerne an ihre Zeiten in Weinsberg zurück.
Von der Grundstruktur des Studiengangs spielt der naturwissenschaftlich-önologische Teil des Studiums ganz klar eine gleichgewichtete Rolle. Welcher berufliche Schwerpunkt gesetzt werden soll, das obliegt den Studierenden und Dualen Partnern. Im Rahmen der Wahlmodule kann dies sowohl in Richtung Unternehmensführung, Vermarktung, Kulinaristik oder Weinbau, Önologie, Sensorik und Getränketechnologie gehen.

wissensstadt.hn: Welche Student*innen suchen Sie und für welche ist das Studium eher nichts?

Prof. Dr. Martina Boehm: Wichtig ist eine Leidenschaft für Wein und Getränke sowie die Bereitschaft, über den Tellerrand hinaus zu schauen und sich mit dem Produkt und dessen Vermarktung intensiv auseinanderzusetzen. Vielen Studierenden gefällt auch der Nachhaltigkeitsgedanke und die Naturverbundenheit in diesem grünen Beruf.
Aufgrund der Vielseitigkeit des Studiengangs gibt es unzählige Karrieremöglichkeiten, – die Tüftler lieben den Keller, die Kommunikationstalente fühlen sich als Sommelier oder im Vertrieb wohl und die Naturliebhaber finden ihren Platz im Weinberg.
Unternehmerische Kompetenzen und exzellentes Fachwissen erwerben sie alle mit dem Studium.

wissensstadt.hn: Zuletzt ein Blick in die Zukunft: Für 2022 ist die »5th Culinary and Wine Tourism Conference« in Heilbronn geplant. Worum handelt es sich bei dieser Konferenz und was darf man kommendes Jahr von dem Event erwarten?

Prof. Dr. Martina Boehm: Die CWTC2022 adressiert sich konzeptionell an Wissenschaftler und Experten aus der Praxis, die sich mit den Themenfeldern Kulinaristik und Weintourismus intensiv auseinandersetzen möchten. Die COVID-19-Pandemie lässt Themen wie Reisen, Konsum und Gastlichkeit mit einem ganz neuen Blick betrachten. Aspekte wie Regionalität, nachhaltiger Tourismus, digitale Genusskonzepte und die daraus resultierenden Herausforderungen für die Branchenakteure, vom Weingut bis zum Hotelier, werden sicher intensiv diskutiert werden. Ich freue mich darauf!
Die DHBW wird in erster Linie Unternehmen aus diesen Bereichen einladen, die seit 2020 besonders viel Mut, Kreativität und Innovationskraft aufbringen mussten, um ihr Geschäft weiterführen zu können. Wenn deren Erfahrungen aus der Praxis mit den Erkenntnissen der Wissenschaft zusammenkommen, können ganz neue Impulse entstehen.