Das ist eine große Anerkennung für uns

Das Europäische Netzwerk der Wissenschaftszentren und Museen Ecsite veranstaltet eine jährliche Konferenz für alle, die sich dafür einsetzen, Menschen mit Wissenschaft und Technologie zu inspirieren. Die Ecsite Conference 2022 findet in der experimenta in Heilbronn statt. Wir sprachen mit Dr. Christian Sichau von der experimenta u. a. über die renommierte Fachkonferenz und das öffentliche Changemaker-Festival Wild Spaces.

Interview: Robert Mucha; Fotos: experimenta

wissensstadt.hn: Herr Dr. Sichau, bald geht es los mit der Ecsite in Heilbronn. Nach Kopenhagen, Genf, Porto und Graz kommt die Jahrestagung des europäischen Verbands der Science Center und Wissenschaftsmuseen (Ecsite) vom 2. – 4. Juni 2022 nach Heilbronn. Die Tagung gilt als eine der größten Konferenzen der professionellen Wissenschaftskommunikation in Europa. Was bedeutet dieser „Ritterschlag“ für die experimenta als Gastgeber der Konferenz als auch für die Gastgeberstadt Heilbronn?

Dr. Christian Sichau: Das ist eine große Anerkennung für uns – und zugleich eine Chance, die experimenta und Heilbronn in den Köpfen vieler Menschen zu verankern. Dieser Schritt hinein in einen internationalen, aktiven Austausch ist eine echte Herausforderung: sowohl für die Stadt Heilbronn, als auch für die experimenta. Mit der Eröffnung des experimenta-Neubaus im Frühjahr 2019 haben wir bereits einen großen Schritt nach vorne getan – und die Konferenz ist der darauf aufbauende, logische nächste Schritt. Nach meiner persönlichen Einschätzung gehört die experimenta mittlerweile zu den führenden Orten der Wissenschaftskommunikation in Europa. Das ist uns manchmal vielleicht im Alltag nicht so bewusst, aber die Ecsite-Konferenz wird dies verdeutlichen.

wissensstadt.hn: Wie lange haben Sie und ihr Team an der Organisation der Ecsite gearbeitet?

Dr. Christian Sichau: Wir haben im Juli 2019 begonnen, uns mit der Ausrichtung der Konferenz zu befassen. Der Tagungsort für die Ecsite-Konferenz wird nach einer Ausschreibung und einem Bewerbungsverfahren festgelegt. Noch im Sommer 2019 haben wir in wenigen Wochen eine Bewerbung erstellt und eingereicht. Wesentliche Grundzüge der Konferenz wie die Errichtung einer Zeltstadt auf der Theresienwiese oder die Einbindung der Öffentlichkeit mit den „Wild Spaces“ waren bereits in der Bewerbung enthalten.

Durch die Corona-Pandemie kam der Bewerbungsprozess dann ins Stocken. Geplante Besuche der Ecsite bei uns vor Ort konnten nicht mehr stattfinden. Die Ecsite selbst konnte die Jahreskonferenzen 2020 und 2021 nur online durchführen – was dort etliche Planänderungen verursachte. Im September 2020 haben wir unsere Ideen nochmals online dem Auswahlgremium anhand eines Testaufbaus und eines Modells der Zeltstadt erläutert. Die finale Entscheidung, dass wir die Konferenz durchführen dürfen, kam dann erst Anfang November 2020. So blieben uns nur noch 1,5 Jahre zur konkreten Vorbereitung. Ab hier begann also die heiße Phase.

wissensstadt.hn: An wen ist die Konferenz gerichtet und wer wird dafür als Gast nach Heilbronn kommen?

 Dr. Christian Sichau: Die Ecsite ist im Kern ein europäischer Verband der Science Center sowie naturwissenschaftlich-technischer Museen. Die große Mehrzahl der Beteiligten sind also Beschäftigte dieser Einrichtungen. Hinzu kommen vielen Agenturen und Firmen, die in diesen Bereichen tätig sind und Ausstellungen konzipieren, designen, entwickeln, bauen. Geografisch beschränkt sich der Kreis der Teilnehmerinnen und Teilnehmer jedoch nicht nur auf Europa.

Kurz: es treffen sich Menschen aus aller Welt, die sich der Aufgabe verschrieben haben, Wissenschaft und Technik in Museen und Science Centern professionell der Öffentlichkeit zu vermitteln, sie dafür zu begeistern und mit ihr darüber lebhaft zu debattieren. Also: Eine sehr vielfältige und bunte Mischung von Profis der Wissenschaftskommunikation.

wissensstadt.hn: Und wieso ist die Ecsite so relevant?

 Dr. Christian Sichau: Die Ecsite eint ein Anliegen, nämlich die Frage, wie wir in unseren Gesellschaften die drängenden und grundlegenden Fragen zur Zukunft, zur Entwicklung von Wissenschaft und Technik, besser beantworten können. Dazu wollen wir voneinander lernen, Erfahrungen austauschen und gemeinsame Projekte entwickeln. Bei der Ecsite 2022 kommt ein unglaublicher, nahezu einzigartiger Erfahrungsschatz der Wissenschaftsvermittlung zusammen. Davon können wir alle nur profitieren: Welche Formate wurden an anderen Orten ausprobiert? Mit welchen Resultaten? Welche neuen Ansätze bewähren sich?

An zwei Punkten möchte ich das verdeutlichen: Erstens, wie können wir europaweit oder sogar global – als Einrichtungen, die der Wissenschaft verpflichtet sind – die Anstrengungen zur Nachhaltigkeit in unseren jeweiligen Gesellschaften stärken, stützen und voranbringen? Und Zweitens, wir stehen vor großen, tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen durch die zunehmende Digitalisierung, „Data Science“ und auch künstliche Intelligenz: Welche Rolle können und sollten Science Center und Museen in diesem Prozess spielen? Bei diesen großen Fragen ist es wichtig, dass nicht jede Einrichtung nur alleine für sich darüber nachdenkt, sondern wir dies international gemeinsam angehen!

wissensstadt.hn: Welche Themen werden auf der Ecsite dieses Jahr besprochen und in welchen Formaten?

Dr. Christian Sichau: Es geht um die globalen Herausforderungen wie die Klimakrise und die Gefährdung der Biodiversität. Wie können wir Nachhaltigkeit unterstützen und fördern? Es geht auch um Fragen, wie und was „Lernen“ im 21. Jahrhundert eigentlich ist oder sein sollte. Worauf müssen wir uns einstellen? Was ist wichtig und was wird zukünftig noch wichtiger werden? In diesem Kontext ist auch wichtig, wie wir mehr Bildungsgerechtigkeit erreichen können. Was können wir tun, um eine wirklich gleichberechtigte, inklusive Teilnahme an unseren Bildungsangeboten zu ermöglichen? Die Ecsite nutzt für diesen Themenkomplex das Kürzel EDI: Equity, Diversity, Inclusion.

Ein weiterer Schwerpunkt, der derzeit viele Menschen weltweit beschäftigt: Wie begegnen wir der weit verbreiteten Wissenschaftsskepsis? Was setzen wir Fake News und Verschwörungstheorien entgegen, die uns zuletzt im Kontext der Corona-Pandemie, aber auch in vielen Debatten zur Klimakrise begegnet sind?

Neben diesen übergreifenden Themen widmen sich einzelne Veranstaltungen stärker dem fachlichen Austausch. Häufig geschieht dies in Verbindung mit diesen großen Themen, zum Beispiel wenn es darum geht, neue Ausstellungen nachhaltiger zu entwickeln und zu bauen.

Und da zur Ecsite auch Einrichtungen aus der Ukraine gehören, wird die gegenwärtige Situation dort natürlich auch Thema sein.

wissensstadt.hn: Haben Sie und ihr Team etwas Lampenfieber vor dieser wichtigen internationalen Fachkonferenz? Schließlich ist solch ein Event bei aller Erfahrung ihres Teams eine Premiere?

Dr. Christian Sichau: Ja, selbstverständlich. Es ist aufregend. Da die beiden letzten Ecsite-Konferenzen nur online durchgeführt werden konnten, war es für uns im Vorfeld nicht möglich, konkrete und praktische Erfahrungen zu sammeln. Wir hätten gerne mehr Menschen in unserem Team die Möglichkeit verschafft, persönlich diese Konferenz besser kennenzulernen. Wir haben uns zudem selbstverständlich auch einige Partner hier vor Ort gesucht, die uns mit ihrer praktischen Event-Erfahrung tatkräftig unterstützen.

Es gibt im Übrigen sicher auch bei vielen Beteiligten aus den Kreisen der Ecsite Lampenfieber. Denn immerhin liegt die letzte, in Präsenz durchgeführte Jahreskonferenz bereits drei Jahre zurück. Und was wir hier in Heilbronn mit dem Ecsite-Camp wagen, ist für alle etwas Neues. Das gab es in dieser Form noch nie.

Rundherum steigt also das Lampenfieber – doch alle sind zugleich freudig gespannt.

wissensstadt.hn: Auch für die Stadt Heilbronn ist die Konferenz Premiere, 1.000 internationale Konferenzteilnehmer sind hier bisher nicht an der Tagesordnung gewesen. Wird die Stadt als Gastgeber mit den eingangs genannten Städten mithalten können? Kopenhagen, Genf oder Porto sind schon andere Kaliber als das beschauliche Heilbronn …

Dr. Christian Sichau: Nachdem die Ecsite-Jahreskonferenzen über lange Zeit deutlich gewachsen sind, gibt es tatsächlich auch in dem Verband das Bestreben, neu zu denken. Es kann und soll ja nicht das Ziel sein, dass nur noch Austragungsorte mit einem riesigen Messe- und Kongresszentrum als Veranstalter in Frage kommen. Die Ecsite als Verband lebt von der bunten Vielfalt ihrer Mitglieder. Es wird zukünftig darum gehen, diese Vielfalt auch wieder sichtbarer zu machen. Dafür steht auch Heilbronn.

Um was geht es in der Konferenz letztlich? Um den persönlichen Austausch in einer guten Atmosphäre, um das Knüpfen neuer Netzwerke. Und hier versuchen wir, mit einer sehr „persönlichen“ und „freundlichen“ Qualität neue Akzente zu setzen. Hinzu kommt die besondere Atmosphäre des Ecsite-Camps.

Doch selbstverständlich gibt es in der Stadt Heilbronn auch einige praktische Herausforderungen, die wir gemeinsam in Angriff nehmen sollten: Ein Beispiel sind die Verkehrsanbindungen. Für viele internationale Gäste bereitet gerade das berühmte letzte Stück der Anreise die größten Mühen, sei es mit Blick auf eine Anreise mit der Bahn oder auch die Verbindung zu den internationalen Flughäfen. Ein weiteres großes Thema: Internationale Gäste sind darauf angewiesen, dass Informationen leicht und einfach mindestens auf Englisch verfügbar sind, sei es die Menükarte im Restaurant oder auch touristische Angebote. Da haben Städte wie Kopenhagen, Genf oder Porto schlicht ein deutlich besseres Angebot. Zumindest bei dem Hotelangebot hat sich jedoch in den vergangenen Jahren in Heilbronn einiges sehr positiv entwickelt.

wissensstadt.hn: Erstmals wird es parallel zur Fachtagung ein Angebot für die breite Öffentlichkeit geben – die Wild Spaces, ein interaktives Nachhaltigkeitsfestival für alle. Beim öffentlichen Changemaker-Festival Wild Spaces dreht sich alles um die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen. Was wird Besucher dort erwarten?

Dr. Christian Sichau: Die „Wild Spaces“ möchten viele verschiedene Brücken schlagen. Daher würde ich an dieser Stelle gerne bereits den Begriff „Besucher“ deutlich in Frage stellen. Dieser Begriff klingt mir an dieser Stelle viel zu passiv. Denn im Kern geht es um einen lebendigen Austausch zwischen vielen Menschen, die sich in unterschiedlicher Weise mit Fragen der Nachhaltigkeit beschäftigen – sich engagieren, debattieren und mitmachen wollen. Da spielt es weniger eine Rolle, ob jemand dies bereits in einem Verein, einer etablierten Initiative oder auch professionell, etwa in einer Forschungseinrichtung, tut – oder sich bisher eher nur im privaten Umfeld und zuhause mit diesen Fragen beschäftigt hat. Es geht um ein Kennenlernen und Wahrnehmen, welche Projekte es – gerade auch in unserer Region – bereits gibt. Es geht um vielfältige Anregungen, neue Wege auszuprobieren und für sich zu testen. Es geht um ein Mut-Machen, sich selbst einzubringen und mitzumachen. Denn die Leitfragen der Wild Spaces lauten schließlich: Natur bewahren, Wissen schaffen, Zukunft gestalten. Und das sind Dinge, die wir letzten Ende alle gemeinsam anpacken müssen. Jede und jeder mit seinen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Möglichkeiten.

Daher bieten wir in den Wild Spaces auch viele verschiedene Formen, solche Initiativen und Projekte persönlich kennenzulernen: an Infoständen, in Workshops, in Vortragsveranstaltungen. Es ist ein sehr buntes und vielfältiges Programm.

wissensstadt.hn: Wann und wo findet die Wild Spaces statt und ist sie wirklich für jedermann und -frau, alt oder jung interessant? Alleine die temporäre Zeltstadt klingt spannend und logistisch anspruchsvoll.

Dr. Christian Sichau: Die Wild Spaces finden – wie auch die Ecsite-Konferenz – auf der Theresienwiese statt, in einem eigenständigen Bereich. Geöffnet sind die Wild Spaces von Donnerstag, dem 02. Juni, bis einschließlich Sonntag, dem 05. Juni. Der Eintritt ist kostenfrei, so dass jede und jeder auch mal nur kurz hineinschnuppern kann. Für manche Workshops empfiehlt sich jedoch, rechtzeitig einen Platz zu sichern – mit einer Anmeldung auf der Webseite https://wild-spaces.de . Dort wird auch das Programm ausführlich vorgestellt.

wissensstadt.hn: Was wäre das schönste Kompliment, dass ein*e Konferenzteilnehmer*in und Festivalbesucher*innen ihnen und ihrem Team aber auch der Stadt am 5. Juni nach dem Ende der Ecsite und von Wild Spaces machen könnten?

Dr. Christian Sichau: Für uns sind die Wild Spaces ein Versuch, neue Angebote und Formate auszuprobieren. Daher wäre hier das schönste Kompliment die Frage „Wann finden die nächsten Wild Spaces statt“? Und schön wäre es, wenn es uns gelänge, hier neue Netzwerke in der Region zu initiieren und zu stärken.

Bei der Ecsite-Konferenz würde ich gerne hören: „Es war anregend und schön, hier gewesen zu sein. Ich kann ganz viele Ideen mit nach Hause nehmen und fühle mich gestärkt, weiterhin engagiert die öffentliche Wissenschaftskommunikation voranzutreiben!“. Und auf der persönlichen Ebene das wechselseitige Versprechen: „Wir bleiben in Kontakt!“

wissensstadt.hn: Abschließend: Welches Science-Event hätten Sie nach der Ecsite gerne in Heilbronn zu Gast?

Dr. Christian Sichau: Die experimenta ist in vielen Feldern der Wissenschaftskommunikation unterwegs. Daher gibt es auch viele weitere Ideen. Insgesamt wird es für uns zum einen darum gehen, verstärkt den internationalen Austausch zu suchen. Das muss nicht immer eine große Ecsite-Konferenz sein. Ergänzend wird es auch im deutschsprachigen Raum um eine stärkere Vernetzung mit verschiedenen Partnern der Wissenschaftskommunikation gehen. Wir hatten hier im vergangenen Jahr zum Beispiel eine kleinere Fachtagung mit dem Titel „Inter.Aktion“ durchgeführt, in der wir uns mit Museen, Science Centern und Forschungseinrichtungen mit dem Lernen in interaktiven Ausstellungen beschäftigt haben. Daraus möchten wir schrittweise eine Tagungsreihe entwickeln – die nächste Durchführung im Juli 2023 steht bereits in unseren Kalendern. Hinzu kommen sehr große Veranstaltungen wie die Ausrichtung des Bundeswettbewerbs „Jugend forscht!“ im Frühsommer 2024. Wir haben jedenfalls noch viele Ideen!