Bürger-Uni in Heilbronn: Den kleinsten Krankheitserregern auf der Spur

Hepatitis B, Coronavirus und Co.: Virologin Ulrike Protzer spricht bei der Bürger-Uni in Heilbronn über die faszinierende Welt der Viren. Eine vierte Corona-Impfung empfiehlt sie gewissen Gruppen, bei den Corona-Schutzmaßnahmen sei man an manchen Stellen über das Ziel hinausgeschossen.

Von Christoph Feil, Foto: Mario Berger

Hepatitis B, Coronavirus und Co.: Virologin Ulrike Protzer spricht bei der Bürger-Uni in Heilbronn über die faszinierende Welt der Viren. Eine vierte Corona-Impfung empfiehlt sie gewissen Gruppen, bei den Corona-Schutzmaßnahmen sei man an manchen Stellen über das Ziel hinausgeschossen.

Etwa 300 Millionen Menschen rund um den Globus leben nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit einer chronischen Hepatitis-B-Virusinfektion. Damit sind sie einem erhöhten Risiko ausgesetzt, an Leberkrebs, Leberzirrhose und Leberversagen zu erkranken. Jährlich kommen etwa 1,5 Millionen Neuinfizierte hinzu.

Die meisten Betroffenen, die eine Therapie beginnen, so die WHO, müssten diese ein Leben lang fortführen. Als Schutz vor einer Ansteckung wird eine Serie von Impfungen im Säuglingsalter empfohlen, beginnend kurz nach der Geburt.

Denjenigen zu helfen, die den Krankheitserreger bereits in sich tragen, das haben sich Ulrike Protzer und ihr Team vorgenommen. “Das Hepatitis B-Virus ist unser Haustier, mit dem wir schon sehr lange und sehr viel arbeiten”, sagt die Virologin aus München – und informiert bei der Bürger-Uni am Donnerstagabend über den aktuellsten Stand ihrer Forschung.

Therapeutische Impfung entwickelt

Um das Immunsystem dazu zu bringen, den Zellparasiten aus dem Körper zu treiben, haben die Wissenschaftler demnach eine therapeutische Impfung (TherVacB) entwickelt – die also nicht als Vorbeugung gedacht ist, sondern als Heilbehandlung bei Hepatitis B.

Nach Erfolg versprechenden Tierversuchen hofft Protzer nun, dass der Impfstoff im nächsten Schritt ab Anfang Mai an Menschen getestet werden kann. “Wir haben jetzt schon 12.000 Anfragen von Patienten, die gerne an unserer Studie teilnehmen möchten. Das geht nicht. Wir haben überhaupt nur 80 Plätze. Aber Sie sehen, der Bedarf ist da”, erzählt die Professorin dem Publikum – und erntet Applaus.

“Viren sind einfach faszinierend”, wirbt die gebürtige Stuttgarterin bei ihrem Vortrag in der Aula auf dem Bildungscampus der Dieter-Schwarz-Stiftung um Interesse für die nur unter dem Elektronenmikroskop sichtbaren Genfähren. Als solche – so liefert die Expertin gleich die Funktionsweise dieser Nicht-Lebewesen dazu – sind sie “darauf optimiert, ihre Erbinformation von einer Zelle in die nächste zu bringen, dann typischerweise Symptome auszulösen und durch diese Symptome transportiert zu werden zum nächsten Individuum.”

Neben Menschen und Tieren können auch Pflanzen und Bakterien von Viren befallen werden. Und Viren sind überall. “Wenn Sie schwimmen gehen im Ozean, nehmen sie ständig Viren zu sich, etwa zehn Millionen pro Tropfen Seewasser”, sorgt Ulrike Protzer für Erstaunen bei den Besuchern. Der Grund, warum das beim Baden im Meer nicht weiter auffällt: Die meisten Viren machen nicht krank, sind für den Menschen also apathogen. Dafür killen sie aber beispielsweise Bakterien im Abwasser.

Verschiedene Übertragungswege

Kinderlähmung, Pocken, Spanische Grippe: Auf die Geschichte einzelner Viren und deren Bekämpfung geht Protzer während der gut eineinhalbstündigen Veranstaltung ebenso ein, wie sie verschiedene Übertragungswege aufzeigt. Wobei es der 60-Jährigen gelingt, ihrer Forderung gerecht zu werden, dass Wissenschaftler kommunikativ sein und mit einfachen Worten vermitteln können müssen, was sie wissen. Mithilfe von Schaubildern, Statistiken und in für Laien verständlichen Ausführungen macht Protzer ihr Forschungsgebiet anschaulich.

Während der Pandemie als gefragte Expertin in den Medien, kommt Ulrike Protzer auch auf das Coronavirus zu sprechen. Dass in revolutionärer Geschwindigkeit ein Impfstoff entwickelt werden konnte, lag daran, dass es viele Vorarbeiten gab und man wusste, wie das Antigen aussehen muss.

Hinzu kam, dass die mRNA-Technologie gerade fertig und einsatzbereit war. Die regulatorischen Behörden und Entwickler sich eng abgestimmt haben. Und die Regierungen viel Geld in die Hand nahmen, um frühzeitig Impfstoffe zu produzieren, während die klinischen Studien noch liefen. “All das zusammen war eine einmalige Situation, die so nie wieder auftreten wird. Ich glaube, wir kommen wieder zurück zu unseren normalen fünf- bis zehnjährigen Entwicklungszyklen”, resümiert die Virologin.

Blick auf Schutzmaßnahmen

Differenziert blickt Ulrike Protzer auf die Schutzmaßnahmen, von denen ihrer Ansicht nach zwar die meisten gerechtfertigt gewesen waren. Aber: “Man ist sicherlich an der einen oder anderen Stelle übers Ziel hinausgeschossen.” Einen Kommunikationsfehler sieht sie in der früh geäußerten Behauptung, dass man mit zwei Impfungen vollständig geimpft sei. “Das ist bei keinem Totimpfstoff so”, sagt Protzer. Notwendig seien dafür drei. Und nachdenken müsse man auch darüber, ob die Vakzine global gerecht verteilt wurden.

Eine vierte Dosis empfiehlt die Virologin übrigens Risikogruppen mit hohem Alter und/oder Vorerkrankungen und stützt sich dabei auf Daten aus Israel und Schweden. “Wenn eine Auffrischimpfung, dann mit dem BA 4/5-Impfstoff, das macht mit Abstand am meisten Sinn.”

“Fortschritt spornt mich an”

“Fortschritt spornt immer an”, erklärt Ulrike Protzer im Gespräch mit Moderator und Stimme-Redakteur Tobias Wieland – und nennt für sich und ihre Kollegen gleich ein paar Hausaufgaben: Impfstoffe entwickeln, die noch besser verträglich sind, und vor allem auch Impfstoffe entwickeln, die idealerweise auch vor Infektionen schützen.

Während die Virologie sehr gute Theoretiker hat, fehlt es jedoch noch an gut ausgebildeten klinischem Nachwuchs. Welcher Erreger möglicherweise die nächste Pandemie auslöst, hakt Wieland zum Schluss noch nach. Im Auge zu behalten, gilt es, so Protzer, Influenza und Flaviviren, die durch Stechmücken und Zecken übertragen werden. “Und, wie wir jetzt alle wissen, Coronaviren.”

Mit freundlicher Genehmigung der Stimme Mediengruppe & der Heilronner Stimme